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CORONA-KRISE: STIMMEN AUS DEM PUBLIKUM

Wie geht es unseren Besucher*innen in dieser besonderen Zeit? Wie kommen sie ohne die Oper aus? Worauf freuen sie sich in der ungewissen Zukunft? Anlass, über Erfahrungen und Wünsche zu sprechen mit:

Michael Meyer, 63, Unternehmensberater / Coach
Felicia Ulmer, 16, Schülerin
Stefan Ernst, 41, Parlamentsstenograph Hessischer Landtag
Doris Höfer, 73, Apothekerin im Ruhestand
Alexander Fay, 36, Studienrat (Englisch, Musik)
Barbara Olszewski, 53, Dipl. Verwaltungswirtin

Wie geht es Ihnen ohne Oper?

Doris Höfer: Ich bin noch in Schockstarre.

Barbara Olszewski: Mein Mann und ich gehen etwa einmal die Woche und vermissen das sehr. Uns ist ein Lebenselixier genommen.

Alexander Fay: Es fehlt was, ich hätte gern das Live-Erlebnis.

Stefan Ernst: Die Live-Kultur generell fehlt.

Felicia Ulmer: Dass alles ausfällt, ist echt traurig.

Michael Meyer: Es ist ungewöhnlich still geworden um die Oper.

DIE OPER FRANKFURT IST SEIT 12. MÄRZ 2020 FÜR BESUCHER GESCHLOSSEN. FOTO: BARBARA AUMÜLLER

Aktuell gibt es nur das digitale Programm der Oper Frankfurt. Wie kompensieren Sie den Wegfall des »Live-Erlebnisses Oper«

Michael Meyer: Ich finde Kompromisse: Opern online wie »Xerxes« hier oder auch die Göttinger Händelfestspiele über den NDR. Aber Konserve ist kein vollwertiger Ersatz. Außerdem stört online die Möglichkeit der Unterbrechung meine Konzentration – die Hingabe geht verloren.

Stefan Ernst: Wir verabreden uns jetzt per Skype zum Operngucken. Aber online ist nicht das Gleiche, die Atmosphäre fehlt: Man betritt ein Gebäude, taucht in eine andere Welt ein, anders als bei mir im Wohnzimmer, womöglich noch in Jogginghose.

Alexander Fay: Es gibt bei YouTube unzählige Angebote, das ist eine Fundgrube: Meisterklassen, Da capo mit Everding, ich schau mir auch die Trailer der Oper Frankfurt an, aber das ist einfach nicht das Opernhaus.

Doris Höfer: Ich würde mir nie eine Oper im Fernsehen ansehen. Ich brauche den Nachbarn neben mir, der schnauft, die Bühne, die lebt. Ich kann den Opernbesuch durch nichts ersetzen, also bis auf Klavier spielen.

Alexander Fay: Als Klarinettist spiele ich gerade mehr Opernliteratur, aus dem Probespielheft, da suche ich mir die Opernstellen.

Barbara Olszewski: Wir kompensieren das auch, indem wir selber mehr Musik machen. Mit meinem Mann, einem ehemaligen Geiger des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, spiele ich Geigenduos. Ich kann per Skype meinen Gesangsunterricht weiter nehmen. Das geht erstaunlich komprimiert, ähnlich den Videokonferenzen. Ich singe aus Puccini-Opern, Puccini liebe ich!

Felicia Ulmer: Oper, Orchester, Geigenstunden, fällt alles aus. Da bleibt mir nur zu üben. Das hat bei mir natürlich eine andere Dimension, aber ich kann schon nachvollziehen, wie sich die Orchestermusiker*innen fühlen. Seit der 6. Klasse spiele ich im Orchester und vor jeden Sommerferien gibt es ein Konzert. Dass da mal ein Jahr Pause ist, ist einerseits schade, andererseits eine Erleichterung. Man kann besinnlicher sein, Beziehungen pflegen, in die Natur gehen!

Doris Höfer: Ich stelle fest, ich hatte mich ganz schön vollgepackt mit Events. Neulich wusste ich gar nicht mehr, welcher Roman da auf der Bühne gespielt wurde. Man sollte die Kultur schon gut dosieren.

Welche Aufführungen fallen für Sie aus?

Barbara Olszewski: »Salome« hätten wir uns gern ein zweites Mal angesehen, dabei saßen wir an dem 13. März im Saal, als wir fortgeschickt wurden, konnten sie also überhaupt nicht sehen. Die Wiederaufnahme von »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, die konzertante Aufführung von »Mignon«, das ist ja was ganz Ausgefallenes. Die ganzen Liederabende!

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Alexander Fay: Für mich privat entfallen »Salome«, »Jeanne d’Arc«, »Das schlaue Füchslein«, »Bianca e Falliero«, »Der Rosenkavalier«, »Tristan und Isolde«, die einzige große Wagner-Oper, die mir noch fehlt, und der »Prinz von Homburg«. Als Lehrer mussten wir leider einen Orchesterprobenbesuch absagen. Ich hätte den Kids auch gern die Möglichkeit gegeben, sie an die Oper heranzuführen, sie daran teilhaben zu lassen. Das holen wir mit der entsprechenden Vorbereitung nach, sobald es wieder geht.

DORIS HÖFER BEIM OPERNWORKSHOP ZU »SALOME« AM 8.3.2020 BEI IHRER EINFÜHLUNG IN DIE ROLLE DES HERODES. FOTO: BARBARA AUMÜLLER

Doris Höfer: Ich war im Workshop zur »Salome« und konnte dann nicht mehr in die Vorstellung gehen. Das habe ich schon sehr vermisst.

Felicia Ulmer: Ich wäre beim Operntag »Das schlaue Füchslein« gewesen. Und ich würde gern im September »Nozze di Figaro« sehen. Es gibt so verschiedene Arten, die man mögen kann. Opern sind wie Menschen, bei dem einen mag man das, beim anderen das, andere mag man gar nicht. Aber mit Opern, da könnte ich mich mit vielen anfreunden. »Tristan und Isolde« neulich hat mich sehr beeindruckt, diese ganze Beziehungsunfähigkeit! Oder »Don Giovanni«, so ganz klassisch mit Drama und Mord und Verrat und der Böse stirbt am Ende und dann singen sie am Schluss wie im Märchen. Nicht ganz jugendfrei!

Michael Meyer: Ich weiß momentan gar nicht, was ich alles verpasse. Das Opernabo ist ja sehr komfortabel, es führt mich auf ungewohntes Terrain. Ich habe noch keine wirklich schlechte Oper gesehen, selbst wenn sie meinem Geschmack nicht entspricht. Frankfurt ist nicht Massenproduktion, trotz der hohen Menge an Stücken, sondern pflegt Vielfalt an Dirigent*innen, Bühnenbildner*innen, musikalischen Richtungen, das ist eine unglaubliche Leistung. Es gibt Häuser, die sind ihrem Stil treu. Frankfurts Stil ist es, keinem Stil treu zu sein.

Was wünschen Sie sich für die Zwischenzeit?

Stefan Ernst: Corona ist die Chance, über die Online-Angebote hinter die Kulissen zu schauen. Ensemblemitglieder stellen sich vor, Musiker*innen stellen sich irgendwelchen Challenges, das hat was.

Felicia Ulmer: Online würde mich noch mehr Backstage interessieren. Interviews mit den Darsteller*innen, wie aufgeregt sind sie vor dem Auftritt? Auch die Leute auf der Bühne, die nicht auftreten, das sind ja ganz viele, was ist das dann für ein Gefühl, daran teilzuhaben? Es sollte aber auch nicht zu viel verraten werden, damit die Magie nicht komplett weg ist.

Barbara Olszewski: Es wäre toll, wenn bald Gesangsduette als Liederabende möglich wären, da gibt es doch so viel aus Oper und Lied!

Michael Meyer: Probiert neue Formate aus – lasst Ehepaare mit Pianist*in auf der Bühne proben.

Worauf freuen Sie sich besonders, wenn Oper wieder möglich sein wird?

Felicia Ulmer: Vielleicht habe ich Lust auf einen Wagner-Marathon*? Oder diese ganzen italienischen Buffo-Opern, die sind witzig.

»LE NOZZE DI FIGARO« VON WOLFGANG AMADEUS MOZART IN DER OPER FRANKFURT. FOTO: BARBARA AUMÜLLER

Barbara Olszewski: Ich freue mich besonders auf die nächste Premiere, wenn wir mit unseren Freunden, Freaks und Fans und den Mitwirkenden aus dem Haus wieder Kontakt haben können.

Stefan Ernst: Nicht alle Häuser, in die ich so gehe, bieten einen Stream an, es entsteht eine Art Vakuum. Besonders in Frankfurt freue ich mich auf das Ensemble, die starken Inszenierungen, die Live-Musik.

Alexander Fay: In die Oper gehen, den Platz einnehmen, die Musiker zu erleben, zu schmunzeln, wenn ich mein eigenes Instrument höre, die Klarinette, und wenn’s dann losgeht und man den Musikgenuss hat.

Doris Höfer: Ich freue mich auf das Gemeinschaftsgefühl. Dass da ein Haufen Leute sitzt, die sich verzaubern lassen. Ich versuche immer, mit meinen Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Ich würde auch mit denen reden, wenn sie zwei Meter von mir weg sitzen!

Michael Meyer: Der Mensch ist ein soziales Wesen, und so freue ich mich auf das gemeinsame Klatschen, auf das »Bravo / Brava« rufen.

Barbara Olszewski: Auf die nächste Vorstellung, die läuft.

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*Tipp für Wagner-Fans: Ab Dienstag, 19. Mai, läuft der Opernzyklus »Der Ring des Nibelungen« im Stream im Rahmen des Programms von »Oper Frankfurt zuhause«, mehr unter www.oper-frankfurt.de/zuhause.

Die Publikumsstimmen sammelte Iris Winkler, Opernpädagogin und Mitarbeiterin von JETZT! in der Oper Frankfurt. 

17. Mai 2020

CORONA-KRISE: INTERVIEW MIT DEN SÄNGER*INNEN DES ENSEMBLES

Seit mehr als vier Wochen steht der Betrieb der Oper Frankfurt still – so wie ganz Deutschland. Was bedeutet es für Profisänger*innen, die Proben und Vorstellungen zu unterbrechen? Ist ein Weiterarbeiten im Homeoffice überhaupt möglich? Stellvertretend für das Ensemble der Oper Frankfurt haben wir mit den Sänger*innen Michael McCown, Liviu Holender, Dietrich Volle und Barbara Zechmeister gesprochen.

 

Wie sehen Ihr Alltag und der der anderen Sänger*innen des Ensembles aktuell aus?

Michael McCown: In vielerlei Hinsicht sieht mein Alltag aus wie der vieler anderer. Zusätzlich zur Arbeit, die ich von zu Hause aus leisten kann (üben, Texte und Töne lernen, szenische Einstudierung über Videoaufnahmen), lese ich viel, treibe etwas Sport, koche mit meiner Frau, beschäftige mich mit Ausmisten und verweile ab und zu auf der Couch.

Liviu Holender: Der täglich routinierte Betrieb von Proben und Korrepetition und vor allem die Vorstellungen fehlen natürlich sehr. Ich nutze die Zeit, um mich auf neue Partien für die nächste Saison schon frühzeitig vorzubereiten, oder auch Repertoire zu studieren, zu dem ich im normalen Betrieb wenig Zeit habe, wie Lieder.

Dietrich Volle: Jeder versucht, sich gesanglich fit zu halten und seine Gesangspartien, die vor ihm liegen, musikalisch einzustudieren. Ensembleproben sind natürlich leider nicht möglich. Und singen können nur wenige zu Hause, ich persönlich habe die Möglichkeit.

Barbara Zechmeister: Mein Alltag ist zurzeit, wahrscheinlich wie bei allen Mitmenschen und in großem Kontrast zu meinem »normalen Alltag«, sehr stark von den digitalen Medien beherrscht. Vom Austausch mit der Familie, Freunden und Kolleg*innen im Hinblick auf Gesundheit und die neuesten Informationen bezüglich der Corona-Entwicklung.

Haben jetzt alle Zwangspause oder geht die Arbeit weiter? Welche neuen Herausforderungen ergeben sich dadurch?

Michael McCown: Bei mir hört die Arbeit nie auf. Selbst in der Sommerpause muss ich üben. Ich kenne manche Kolleg*innen, die sich problemlos tage- bzw. wochenlange Pausen gönnen können. Ich bin leider einer, der immer am Ball bleiben muss, ob in der Spielzeitpause oder in der jetzigen Quarantäne. Zum Glück ist unsere Kirche um die Ecke und erlaubt es mir, dort zu üben, so komme ich in keinen Streit mit der Nachbarschaft (lacht).

Liviu Holender: Bei mir persönlich ist es momentan besonders schwierig, weil ich in den Bergen in Lech am Arlberg, Österreich, in einem kleinen Dorf in Quarantäne eingeschlossen bin. Zwar bin ich ganz gesund und wohlauf, aber das Üben findet für mich hauptsächlich draußen in den Bergen und im Skikeller statt, da ich in einer sehr kleinen Einzimmerwohnung mit meinen Eltern hier bin.

Dietrich Volle: Wie Sportler müssen auch wir trainieren, um in Form zu bleiben.

Barbara Zechmeister: Die Arbeit für die Oper läuft bei mir weiter, wie auch bei anderen Spielpausen, mit regelmäßigen stimmtechnischen Übungen und Lieder-, oder Partienstudium, um wie im Sport fit zu bleiben. Neben meinem Opernengagement unterrichte ich Gesang am Konservatorium – dieser Unterricht findet zur Zeit per Skype im Homeoffice statt, was den normalen persönlichen Kontakt nicht ersetzen, aber in diesen Zeiten doch einen Lernprozess weiterführend begleiten kann. Zum Glück habe ich tolerante Nachbarn, die sich bis jetzt nicht von meinen erhöhten Sing-Aktivitäten zu Hause gestört fühlen. Normalerweise übe ich verstärkt in der Oper, um nicht zu sehr zu stören, dies ist ja momentan auch nicht möglich. Durch die Tragfähigkeit unserer Stimmen sind wir doch ziemlich laut für »normale« Räume …

Wie war dieser Moment, als Sie erfahren haben, dass die Proben ab sofort nicht mehr möglich sind?

Michael McCown: Ich war, als die Vorstellungen vorerst abgesagt wurden, bei Salome beteiligt. Für Peter Grimes und Das Schlaue Füchslein hatten die szenischen Proben noch nicht angefangen. Ab diesem Moment hörte mehr oder weniger alles für mich auf einmal auf. Für mich war das gleichzeitig überraschend, absolut verständlich und auch beruhigend, denn wir haben bei szenische Proben immer sehr engen Kontakt, geschweige denn von der ganzen Luft, die durch das Singen im Raum »gestreut« wird.

Liviu Holender: Ich persönlich hatte das Glück meine Produktionen im Februar »abgespielt« zu haben, und es war gerade eine Pause bis zum Start der Proben für Don Giovanni.

Dietrich Volle: Die angelaufenen Produktionen Salome und Romeo und Julia auf dem Dorfe wurden komplett gestoppt, das ist natürlich ein Desaster. Und keiner kann sagen, was und wann wieder anläuft.

Barbara Zechmeister: Nach dem ersten radikalen Stopp aller Proben in der Oper entstand ein unwirkliches Gefühl. Ich war in der musikalischen Vorbereitung für die Wiederaufnahme-Proben des Rosenkavaliers, zunächst allein mit Takeshi Moriuchi, unserem Studienleiter. Er hatte die ersten Ensembleproben mit Kolleg*innen geplant, teilweise auch mit dem Dirigenten Stefan Soltesz – diese konnten jetzt nicht stattfinden. Ich arbeite nun allein daran, meine Partie wieder »in die Stimme zu bekommen«, auswendig zu lernen und arbeite mit dem Video der Vorstellung, um szenisch präpariert zu sein. In der Hoffnung, ab dem 20. April wieder real mit meinen Kolleg*innen arbeiten zu können …

Wie bleiben Sänger*innen des Ensembles jetzt in Kontakt?

Michael McCown: Die technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahren sind generell für Sänger*innen ein Riesen-Vorteil. Schon länger bleiben wir dadurch mit unseren Familien- und Freundeskreisen im Ausland verbunden. Jetzt wird das auch für die nähere Umgebung umgestellt. Anrufe, FaceTime, WhatsApp-Videogespräche sind alles wunderbare Mittel, um Freundschaften zu pflegen.

Liviu Holender: Musizieren erfordert natürlich den persönlichen Kontakt, vor allem das Arbeiten im gemeinsamen Raum und mit derselben Akustik. Jedoch habe ich entdeckt, dass es auch möglich ist über FaceTime oder Skype mit meinen Gesangslehrern und sogar auch Pianisten zu arbeiten. Natürlich ersetzt das nicht die »echte« gemeinsame Arbeit, aber da diese momentan nicht möglich ist, ist es besser als nichts, und nach einigen Stunden gewöhnt man sich daran. Vor allem ist es auch eine wichtige mentale Beschäftigung und Ablenkung von dem »Quarantäne-Alltag«, sich intensiv gemeinsam mit der technischen und musikalischen Erarbeitung von neuen Repertoires zu beschäftigen. Wir schicken uns auch oft Aufnahmen und tauschen uns dann darüber aus.

Barbara Zechmeister: Mit meinen Kolleg*innen kommuniziere ich über WhatsApp und Facebook – die Gruppen dafür existieren schon länger, sind aber gerade stärker als sonst frequentiert, z.B. bezüglich unserer Arbeitssituation an der Oper, oder in ganz persönlichen Fragen. Der Zusammenhalt ist groß.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dieser schweren Zeit mitnehmen können?

Michael McCown: Ich finde es beeindruckend, wie sehr die Verbindung zu Live-Aufführungen und Proben fehlt. Das Erlebnis, die Freund*nnen und Kolleg*innen im Moment ihres Schaffens zu erfahren, ist ein großer Teil meiner Freude an diesem Beruf, und ich freue mich, wenn das weiter gehen darf!

Liviu Holender: Während des laufenden Betriebs fehlt einem oft die Zeit, sich ruhig und stresslos mit dem Erarbeiten von neuen Partien zu beschäftigen. Nun ist die Zeit da, um sich langsam dieser Arbeit anzunehmen. Diese schwere Zeit hilft einem auch, die Wichtigkeit und Wertigkeit von Proben und Korrepetitionsstunden wertzuschätzen. Ich habe mich noch nie im Leben so auf die nächste Korrepetitionsstunde oder Probe gefreut, wie nach dieser Corona Krise …

Dietrich Volle: Positives kann ich an meiner Arbeitssituation nicht erkennen, wir sind auf reale Kreativität angewiesen, darin liegt ja auch unsere Stärke als Ensemble. Zu Hause in der stillen Kammer bleiben wir ohne Wirkung.

Barbara Zechmeister: Spannend ist, dass sich auch auf diesen digitalen Wegen der soziale Zusammenhalt spüren lässt und es neue Methoden und Portale gibt, den Kern unserer Arbeit zu verbreiten. Auch wenn wir manches vielleicht auch danach beibehalten können, hoffen wir natürlich alle, möglichst bald wieder zusammen auf der Bühne zu stehen und ein Live-Publikum berühren zu dürfen. Dies ist uns ein Anliegen und kann durch kein digitales Medium komplett ersetzt werden.

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Dies war der dritte und letzte Teil der Interview-Reihe der Oper Frankfurt zur Corona-Krise, geführt von Linda Herrmann. Lesen Sie auch unser Interview mit Intendant Bernd Loebe oder das Interview mit den Direktoren von Orchester und Chor, Andreas Finke und Tilman Michael, hier auf unserem Blog.

13. April 2020

CORONA-KRISE: STIMMMEN AUS DEM CHOR UND DEM ORCHESTER

Alle hatten schon irgendwie damit gerechnet, aber als das Aufführungs- und Probenverbot am 13. März tatsächlich auch in Frankfurt am Main verbindlich wurde, war es doch ein überraschender und schockierender Moment, der uns allen noch lange in Erinnerung bleiben wird. Wie haben Chor und Orchester dies erlebt und wie geht es jetzt weiter? Andreas Finke, Orchesterdirektor des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, und Tilman Michael, Chordirektor der Oper Frankfurt, schildern aus dem Homeoffice, was die Situation für sie bedeutet.

Wie sehen Ihr Alltag und der Ihrer Kolleg*innen von Chor und Orchester aktuell aus?

Andreas Finke: Orchester bestehen immer aus Gruppen von mehreren Menschen, sodass uns quasi von einem Tag auf den anderen verboten wurde, weiterzuarbeiten wie bisher. Jede Musikerin und jeder Musiker wird das tun, was sie oder er immer tut, wenn keine Proben und Vorstellungen stattfinden: üben, üben, üben, denn zum Glück wird es eine Zeit nach Corona geben und dafür gilt es, fit zu bleiben. Ich persönlich muss einige Dinge gut und allgemeinverträglich abschließen, z.B. die Frage nach der Honorierung abgesagter Proben und Vorstellungen für die zahlreichen freischaffenden Gäste, und bemühe mich um regelmäßigen Kontakt zu den Orchestermusiker*innen, damit diese auf dem Laufenden bleiben.

Tilman Michael: Wir können zurzeit unmöglich alle gemeinsam im Chorsaal proben: Singen hat ja intensiv mit der Atmung zu tun, und für die deutliche Aussprache müssen wir die Konsonanten manchmal fast »spucken« – also viel zu große Ansteckungsgefahr! Wir sind gerade dabei, uns auf die Situation einzustellen und alternative Probenformate zu entwickeln …

Haben jetzt alle Zwangspause oder geht die Arbeit weiter? Welche neuen Herausforderungen ergeben sich dadurch?

Andreas Finke: Die Arbeit im Kollektiv ruht, und so lange wir nicht wissen, wann es weitergehen wird, bleibt unklar, mit welchen Werken wir weitermachen können. Wir können weder dort einsteigen, wo wir aufgehört haben, noch können wir eines Tages so tun, als hätte es die Pause nicht gegeben. Denn Oper hat einen langen Vorlauf und da viele Gewerke jetzt nicht vorbereiten können, werden Neuproduktionen nicht termingerecht fertig gestellt werden können. Aber wir bemühen uns, mit Aktionen wie »Bei Anruf Musik« in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben.

Tilman Michael: Es startet für den Chor gerade ein völlig neues Projekt: für unsere erste Premiere der neuen Spielzeit haben die Chorist*innen nun ihre Noten zu Hause. Ich habe für jede Stimmgruppe individuelle Audio-Tutorials aufgenommen und per Mail verschickt. Es ist ein recht kompliziertes Werk, also spreche ich den Text und die Rhythmen vor und spiele die Tonfolgen für jede einzelne Stimme am Klavier vor. Nun können die Chorist*innen ihre Partie zu Hause erarbeiten! Wir können also von »home singing« oder »private rehearsing« sprechen.

Wie war dieser Moment, als Sie erfahren haben, dass die Proben ab sofort nicht mehr möglich sind?

Andreas Finke: Ich bin am Donnerstag, dem 12. März während einer laufenden Konzertprobe vor das Orchester getreten und musste allen mitteilen, dass die Konzerte abgesagt sind. Die Stimmung, in der dann alle auseinander gegangen sind, war natürlich sehr bedrückt, obwohl wir zu der Zeit noch glaubten, für Opern weiterproben zu können, deren Aufführungen am Wochenende geplant waren. Das hatte sich dann am selben Abend ebenfalls erübrigt.

Tilman Michael: Wir waren nicht das erste Opernhaus, das den Betrieb abgebrochen hat, also haben wir damit schon gerechnet. Die Nachricht kam dann, als alle im Kostüm bereit zum Beginn der Generalprobe für La Damoiselle Élue / Jeanne d’Arc au bûcher waren. Insofern war es schon ein unangenehmes Gefühl – Stillstand »von 100 auf 0«!

Wie bleiben Sie und die Chor- und Orchester-Kolleg*innen jetzt in Kontakt?

Andreas Finke: Ich leite alle relevanten Informationen per Mail weiter, bei 115 Festangestellten und diversen Gästen ist das die einzige Möglichkeit, alle zu erreichen. Ich bin aber überrascht, dass es wenige Rückmeldungen gibt, obwohl doch viele Fragen offen bleiben. Offensichtlich haben alle sehr gut verstanden, dass wir einfach auch nicht mehr wissen und nicht weiterplanen können. Einige kümmern sich um die jährliche Generalüberholung ihrer Instrumente. Es wäre fatal, wenn diese wichtigen Zulieferer nächstes Jahr nicht mehr verfügbar wären, um mit ihrem Fachwissen und ihren Fähigkeiten die notwendige Unterstützung zu gewähren. Die Branche ist sehr klein und schnell verwundbar.

Tilman Michael: Ich informiere meinen Chor per E-Mail jeweils über neue Entscheidungen bzw. veränderte Sachlagen. Wir sehen uns normalerweise über die gesamte Spielzeit quasi jeden Tag zweimal, vormittags und abends, also im Grunde permanent. Der eine oder andere ist vielleicht froh, den »Chef« nicht so oft zu sehen, aber viele schreiben mir, wie sehr sie sich freuen, von mir und von Neuigkeiten aus der Oper zu hören.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus dieser schweren Zeit mitnehmen können?

Andreas Finke: Das Glück und die Dankbarkeit, einen öffentlichen Arbeitgeber zu haben, der unser Überleben sichert und in Aussicht stellt, uns auch in Zukunft zu beschäftigen, ist schon sehr viel wert. Ich persönlich freue mich über das schöne Wetter, dem ich sonst immer nur neidisch aus dem Bürofenster hinterherschaue.

Tilman Michael: Eine Spielzeit an einem Haus wie der Oper Frankfurt – das ist normalerweise eine Phase durchgängig hoher Intensität, ein großartiges Werk löst das andere ab. Da bedeutet diese ungewöhnliche Phase auch: durchatmen und reflektieren, mit Abstand auf die Dinge blicken und Zeit, sich weiterzuentwickeln!

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Dies ist Teil 2 der Interview-Reihe zur Corona-Krise von Linda Herrmann. In der nächsten Folge hören wir von unseren Sänger*innen des Ensembles, wo sie die Quarantäne verbringen und wie sie ihre Stimme fit halten. Hier geht es zu Teil 1 der Serie, einem Interview mit Intendant Bernd Loebe.

08. April 2020

WIR MACHEN MASKEN

Theater kann nur gelingen, wenn viele Menschen unterschiedlichster Abteilungen zusammenarbeiten. In der aktuellen Situation ist das, was wir, die Mitarbeiter*innen der Städtischen Bühnen, täglich praktizieren – Miteinander –, nur eingeschränkt möglich, obwohl es gerade in diesen Tagen reichlich Bedarf an eingespieltem Teamwork gibt. Und so kommt die Zusammenarbeit unserer Abteilungen – darunter Kostümabteilung, Schneiderei, Ankleidedienst, Maskenbildnerei, Inspizienz, Beleuchtungsabteilung, Ton und Dramaturgie – aktuell in Form von selbst genähten Behelfsmasken* denjenigen zugute, die diese im medizinischen und pflegerischen Bereich dringend brauchen.

»Der Auslöser unserer privaten Initiative war das Gespräch von Bianca aus der Maskenbildnerei mit einer Bekannten, die für eine Leipziger Kinderklinik arbeitet. Sie erzählte Bianca von dem Mangel an Schutzmasken und fragte, ob man nicht selbst welche nähen könnte«, schildert Kathrin Schneider vom Ankleidedienst, die daraufhin gemeinsam mit Bianca Neubauer die ersten 70 Stück für die Kinderklinik in Leipzig nähte – nach dem Vorbild einer im Internet veröffentlichten Anleitung der Stadt Essen.

»Und dann dachten wir: Wir müssen auch die Krankenhäuser und Praxen hier vor Ort unterstützen!« Anne Ginsberg aus der Maskenbildnerei und Teresa Kunz aus der Tonabteilung kamen mit ins Boot. Schnell wurden die medizinischen Einrichtungen in Frankfurt abtelefoniert. Dann stieg Yasmine Bersch aus der Schneiderei ein, brachte weitere Kolleg*innen ihrer Abteilung mit, »und wir haben begonnen, auf Spendenbasis Stoffe zu bestellen. Wer unsere Arbeit finanziell unterstützen will, kann auch weiterhin spenden

»Inzwischen sind wir über 20 Kolleg*innen, die das Material zuhause zuschneiden, bügeln, nähen. Dabei entwickelt so mancher ganz neue Fähigkeiten: Georg Max aus der Beleuchtungsabteilung zum Beispiel wurde ins Bügelhandwerk eingearbeitet. Die einzelnen Arbeitsschritte haben wir unter uns aufgeteilt und die Anleitung in Absprache mit einem Arzt des Frankfurter Kinderhospitals Clementine weiter optimiert. Das Material, Stoff, Draht, Garn und Schrägband, wird bestellt, zur Verarbeitung vorbereitet und portioniert. Garderobenmeisterin Silke Mondovits, ›verfährt‹ die Materialpakete unter uns und sammelt später die fertigen Masken wieder ein, um sie an die Kliniken, Praxen und Pflegeheime zu liefern.«

Und wie lange dauert es, bis eine Maske fertig genäht ist? Kathrin lacht: »Naja, das ist ganz unterschiedlich und natürlich auch ein bisschen von der Übung im Nähen abhängig. Ich brauche für eine Maske, wenn der Stoff bereits vorgebügelt ist, 7 Minuten«. Manch andere Kollegin näht vielleicht nur 10 Masken am Tag – macht nichts, jede Maske wird gebraucht und gern genommen. DANKE!

 

*Die Masken werden komplett selbst gefertigt. Sie sind weder geprüft, noch zertifiziert. Es handelt sich lediglich um einen Behelfs-Mund-Nasen-Schutz, sofern die zertifizierten Einmal-Mund-Nasen-Schutzmasken im Pandemiefall nicht mehr verfügbar sind. Weitere Informationen finden Sie unter diesem Link.

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Text: Mareike Wink

1. April 2020

CORONA-KRISE: INTERVIEW MIT BERND LOEBE

In dieser außergewöhnlichen Zeit, die das private, öffentliche und berufliche Leben aller Menschen bis aufs stärkste einschränkt, haben wir mit dem Intendanten Bernd Loebe gesprochen. Wie erlebt er die Krise und was passiert im Moment eigentlich in der Oper Frankfurt?

Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt im Gespräch
BERND LOEBE, INTENDANT DER OPER FRANKFURT, IM GESPRÄCH

Wie gehen Sie als Intendant eines großen Hauses mit der Nachricht um, auf unbestimmte Zeit geschlossen zu sein?
Diese Situation ist für uns alle außergewöhnlich und herausfordernd. Wir können lediglich wochenweise im Kreise der Theaterleitung zusammenkommen und dann auf die aktuelle Situation reagieren. Das Planen wird durch die Ungewissheit erschwert, dass niemand sagen kann, wann wir wieder »normal« spielen oder proben können. Ein Plan, den man in dieser Woche macht, ist in der Woche darauf schon wieder hinfällig. Es ist ungewohnt, dass wir unsere normalerweise aktive, kreative, gestalterische Rolle nur sehr begrenzt wahrnehmen können und erkennen müssen, dass die unabhängige und freie Kunst auf einmal sehr unfrei ist.

Haben Sie etwas Vergleichbares in Ihrer Zeit an der Oper Frankfurt schon einmal erlebt?
Nein, wer könnte sagen, dass er so etwas schon einmal erlebt hat? Der Zusammenbruch des öffentlichen, gemeinschaftlichen Lebens. Die häusliche Isolation als Gebot der Stunde. Normalerweise brauchen wir Kontakt und persönlichen Austausch, menschliche Begegnungen gerade in Krisenzeiten. Darauf zu verzichten, fällt schwer. Mir selbst scheint die Situation bisweilen surreal und nur schwer begreifbar.

Wie sehen Ihr Alltag und der Ihrer Mitarbeiter*innen aktuell aus?
Im Moment darf das Theater nur von sehr wenigen Mitarbeiter*innen betreten werden. Der Probenbetrieb ist ausgesetzt und auch in den Werkstätten wird nicht gearbeitet. Wir hoffen sehr, dass wir durch die strenge Einhaltung aller Vorgaben dazu beitragen, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen und dass wir bald wieder im Theater arbeiten können. Ich treffe mich etwa einmal in der Woche mit meinem Kollegen Anselm Weber und dem Leitungskreis, um zu überlegen, wie wir weiter verfahren werden. Ansonsten sprechen wir telefonisch, per E-Mail oder in Videokonferenzen. Wir haben so viele Mitarbeiter*innen wie möglich mit einem Homeoffice-Arbeitsplatz ausgestattet und die Kolleg*innen unserer EDV leisten dabei hervorragende Arbeit. Bei allen, die zurzeit ins Haus kommen müssen, um die nötigsten Arbeiten zu erledigen, möchte ich mich herzlich bedanken!

Die Corona-Krise trifft freiberufliche Künstler*innen besonders hart. Was kann die Oper und jeder einzelne von uns tun, um die Künstler*innen zu unterstützen?
Zuerst einmal möchte ich mich bedanken für das Verständnis unserer Besucher*innen und vor allem bei unseren treuen Abonnent*innen. In dieser Notsituation sind wir besonders darauf angewiesen, dass die Opernfreund*innen zu uns stehen. Das manifestiert sich darin, dass viele auf die Erstattung der Eintrittsgelder für ausgefallene Vorstellungen verzichten, was uns enorm hilft, den besonders schwer betroffenen freiberuflichen Künstler*innen zu helfen. Die Verträge dieser Künstler*innen haben sich von heute auf morgen ins Nichts aufgelöst. Wir versuchen in diesen Fällen Ersatzverträge in anderen Produktionen und späteren Spielzeiten anzubieten, aber das Geld fehlt ihnen natürlich jetzt. Was die finanziellen Konsequenzen für die Oper Frankfurt anbelangt, hoffe ich inständig, dass wir gemeinsam mit unseren Trägern einen Weg finden, um mit dem Defizit für diese Spielzeit so umzugehen, dass die kommenden Spielzeiten möglichst wenig tangiert werden. Richtig beziffern lässt sich das aber erst, wenn wir sicher wissen, ab wann wir wieder spielen können.

Bernd Loebe in seinem Büro in der Oper Frankfurt zu einer Zeit, als der Betrieb noch normal laufen konnte.
BERND LOEBE IN SEINEM BÜRO IN DER OPER FRANKFURT ZU EINER ZEIT, ALS DER BETRIEB NOCH NORMAL LAUFEN KONNTE

Können Sie an der aktuellen Situation auch etwas Positives finden?
Sicher verhalten sich alle im Moment sehr rücksichtsvoll und entdecken neue Arten der Kommunikation und digitalen Zusammenarbeit. Vielleicht kann man davon auch etwas für die Zukunft erhalten. Für unsere Kunstform ist es aber wichtig, dass Menschen zusammenkommen können, sowohl im Zuschauerraum, auf und hinter der Bühne als auch im Orchestergraben. Vielleicht bemerken viele, dass etwas Wesentliches fehlt, wenn man plötzlich nicht mehr ganz selbstverständlich in die Oper gehen kann und zeigen nach der überwunden Krise mit Ihrem Besuch den Kunst- und Kultureinrichtungen, wie wichtig diese sind.

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Der Spielbetrieb der Oper Frankfurt ist laut aktuellem Stand noch bis voraussichtlich 19. April eingestellt. Die Fragen stellte Linda Herrmann unter Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandsregeln.

27. März 2020