Don Carlo ist ein äußerst unwegsames Gelände (percorso) für einen Dirigenten; er besitzt nicht die erdhafte Energie des trovatore oder den drängenden Rhythmus von Un ballo in maschera. Man darf die Probleme der Länge nicht lösen, indem man die Tempi beschleunigt oder die musikalischen Pausen abwürgt, die Verdi doch so viel bedeuten.
Ich habe das Glück, einen Klavierauszug meines Vaters zu besitzen, der viele Eintragungen von Toscanini enthält, mit denen er ihm persönlich die Partie des Marquis von Posa für eine Produktion der Mailänder Scala erläutert hat. Von diesen eigensinnigen Ratschlägen und erhellenden Beobachtungen habe ich eine große Lektion in Bescheidenheit und vollständiger Hingabe gelernt, die wir alle besitzen müssen, um eine emotional authentische und poetische Interpretation zu verwirklichen. Toscanini schreibt: »Attento al pianissimo! Forte con nobiltà, crescendo insieme all' orchestra! Diminuendo, falsetto, mezzo falsetto, sussurrato, legato senza forzare, etcetera.« (»Vorsicht beim Pianissimo! Forte mit Vornehmheit, Crescendo zusammen mit dem Orchester! Diminuendo, Falsett, mezzo falsetto, Flüstern, Legato ohne Forcieren, etc.«) So ist der Sänger nicht aufgerufen, allein seine Stimme vorzuführen, sondern wird ein wesentlicher Bestandteil des Dramas. So entsteht die Musik aus dem Orchester, geht durch die menschliche Stimme und verwandelt sich in Poesie. Eine magische und geheimnisvolle Metamorphose, ein giuioco di equilibrie (Balanceakt) der auree proporzioni (goldenen Proportionen) wie in einem Ritual, bei dem nichts, oder fast nichts, dem Zufall überlassen bleibt und bei dem alle zusammenwirken, um diese wunderbare »Alchemie« zu verwirklichen.