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Interviews

EIN BLICK ZURÜCK: ANDREAS FINKE ÜBER SEINE 24 JAHRE ALS ORCHESTERDIREKTOR

Nach 24 Jahren verabschiedet sich Andreas Finke zum Ende dieser Spielzeit als Orchesterdirektor an der Oper Frankfurt und blickt in diesem Interview auf unzählige Premieren, Museumskonzerte, Reisen, Herausforderungen – und ebenso viele bewegende wie überraschende musikalische Erlebnisse zurück.

Diana Hillesheim: Wenn man rechnet, dass in der Oper so um die zehn Premieren pro Spielzeit produziert werden, solltest du in deinen 24 Jahren als Orchesterdirektor an der Oper Frankfurt mindestens 200 Opernpremieren erlebt haben und weit über 200 Museumskonzerte und Kammerkonzerte betreut haben und natürlich sehr, sehr viele Orchestermitglieder kennen gelernt haben. Welche Produktionen sind dir musikalisch besonders in Erinnerung geblieben?

Andreas Finke:

Ja, es ist wirklich viel in der langen Zeit. Wenn ich so durchgehe... Seit 2001 kommen mir Bilder von der Agrippina Produktion, damals mit Andrea Marcon als Dirigent. Da haben wir angefangen, Barock auf Originalinstrumenten und in tiefer Stimmung zu spielen. Das zieht sich durch bis heute mit wunderbaren Barockopern. Dann fällt mir ein – es ist schon fast zehn Jahre später – Dido and Aeneas und Herzog Blaubarts Burg. Diese originelle Kombination, von der wir nicht erwartet hatten, dass das so gut funktioniert miteinander und mit der wir auch nach Edinburgh aufs Festival 2012 gefahren sind. Das war übrigens ein Riesenauftrag an die Orchesterwarte, die während der Pause umbauen mussten von der kleinbesetzten Barockoper mit hochgefahrenem Orchestergraben zur riesigen Orchester-Besetzung von Bartoks Herzog Blaubarts Burg. Wir haben angefangen und geschätzt, dass die Pause durch den Umbau wahrscheinlich eine Dreiviertelstunde dauern muss und nachdem sich das eingespielt hatte, haben sie es tatsächlich geschafft, das auf 25 oder 27 Minuten zu drücken. Dann erinnere ich mich an Die Passagierin wenig später. Die war für uns alle eine ganz große Überraschung. Ein fantastisches Stück, hervorragend inszeniert. Das werde ich auch mitnehmen und nie vergessen.

Bildunterschruft:
Dido and Aeneas 2010/11 © Monika Rittershaus

DH: Aus welchen Gründen?

AF:

Die Passagierin hat vor allem inhaltlich eine starke Wirkung ausgeübt, die Handlung, die teilweise im KZ spielt, hat glaube ich niemanden unberührt gelassen. Es ist ja sehr, sehr riskant, so etwas auf die Bühne zu bringen und es ist auch eine Liebeshandlung eingeflochten und das wird leicht peinlich und unglaubwürdig. Es ist aber sehr, sehr gut gelungen in diesem Falle. Das Bühnenbild war sehr beeindruckend. Ein Schiffsrumpf, der sich gedreht hat und mal das Äußere, mal das Innere sichtbar machte. Auch die Musik hat mich sehr fasziniert. Ich hatte vorher nie etwas von Mieczysław Weinberg gehört, und das hat mich sehr beeindruckt. Bei Herzog Blaubarts Burg und Dido and Aeneas war es die szenische Wirkung, weniger das Bühnenbild, was mir in Erinnerung geblieben ist. Das war bei beiden Opern relativ schlicht. Vor allem durch den starken Kontrast dieser beiden Werke, glaube ich, hat der Abend gewirkt. Und natürlich immer durch die Künstler, die das kongenial umgesetzt haben.

Bildunterschruft:
Die Passagierin 2014/15 © Barbara Aumüller
»Ja, die Oper Frankfurt hat einen sehr gewagten, spannenden Spielplan, mit vielen Überraschungen. Das ist auch für mich das, was bleibt und mich in Zukunft an der Oper interessieren wird.«
Andreas Finke, Orchesterdirektor Oper Frankfurt

DH: Da klangen jetzt einige Sachen raus: neue Produktionen, die keiner so erwartet hat, Dinge, die man sich traut, Musiker*innen oder eben Komponist*innen, von denen man noch nie etwas gehört hat. Würdest du zustimmen, dass diese Dinge die Oper Frankfurt ausmachen?

AF:

Ja, die Oper Frankfurt hat einen sehr gewagten, spannenden Spielplan, mit vielen Überraschungen. Das ist auch für mich das, was bleibt und mich in Zukunft an der Oper interessieren wird. Die Stücke, die ich noch nicht kenne, Komponist*innen, von denen ich noch nie etwas gehört habe, das wird mich weiter anlocken.

DH: Gab es bei den Museumskonzerten ein Konzert oder Momente, die du als besonders empfunden hast?

AF:

Was mich beeindruckt hat – aber auch wieder wegen der Repertoirewahl, nicht so sehr wegen der Interpretation – war diese Kombination von Beethovens Neunter mit dem Überlebenden von Warschau von Schönberg. Das hat Michael Gielen sehr gerne als Konzertprogramm gemacht und auch noch mal im hohen Alter. Bei den Museumskonzerten durfte ich das hier mit ihm erleben. Das war sehr faszinierend.

DH: Du hast das Orchester auch über zwei Jahrzehnte maßgeblich mit geprägt. Was waren die größten Veränderungen während dieser Zeit, die sich auf alle und alles ausgewirkt haben?

AF:

Also über die Jahre ist es auf jeden Fall sehr viel mehr Output geworden. Wir machen mit Sicherheit mehr Produktionen als vor 24 Jahren. Da gab es zum Beispiel noch keine Bespielung des Bockenheimer Depots, wo auch sehr interessante Opern produziert worden sind in all den Jahren. Diesen Raum mag ich besonders, weil er so veränderlich ist und die alte Industriearchitektur sichtbar geblieben ist.

Szenenfotos aus Produktionen im Bockenheimer Depot: The Prodigal Son / The Burning Fiery Furnace, Betulia liberata und Melusine. © Barbara Aumüller

DH: Was hat sich im Orchester verändert?

AF:

Das Orchester verändert sich natürlich ständig. Es verjüngt sich aus meiner Perspektive dramatisch. Das ist gut, da kommen unglaubliche Talente zu uns. Das macht eine riesige Freude zu erleben, wie diese jungen Leute offen sind für Dinge, die wir ihnen andienen, die wir ihnen zumuten – von Barockmusik auf Originalinstrumenten in tiefer Stimmung, die hatte ich schon erwähnt, bis hin zu modernsten Opern mit ungewöhnlichen Spieltechniken. Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern wäre hier zu erwähnen.

Sie sind bereit, sich auf alles einzulassen und sich in dieses Kollektiv einzufügen. So ein Orchester hat ja einen Charakter, der bleibt auch bei wechselndem Personal. Alle passen sich an, obwohl sie individuell ihre persönliche Note mit- und einbringen. Es ist wie ein lebender Organismus. Es ist sehr spannend, zu beobachten, wie das funktioniert und sich weiterentwickelt.

Durch die Gründung der Paul Hindemith Orchesterakademie hat die Nachwuchsförderung eine ganz bedeutende und besondere Note bekommen. Was dort stattfindet ist ganz hervorragend: Begleitend zur Mitwirkung im Orchester bekommen die jungen Leute dort Auftritts-Coaching und Unterricht, Mental-Training und tolle Sachen angeboten. Da wächst also auch eine ganz anders geschulte Musikergeneration heran, als wir das damals waren, die wir uns einfach nur auf unser Instrument konzentriert haben.

DH: Gab es durch die Corona-Zeit eine Zäsur in all diesen Entwicklungen?

AF:

Die Corona-Zeit war ziemlich schwer, weil ich plötzlich mit Themen konfrontiert war, für die ich nicht angetreten bin. Als Orchesterdirektor musste ich Corona-Testreihen organisieren oder Impfnachweise kontrollieren und das Orchester auf Abstand setzen, was nebenbei bemerkt ein interessanter Effekt war. Wir haben alle gedacht, man kann nicht miteinander musizieren, wenn der Nachbar 3 Meter weg sitzt. Das Ergebnis war ein ganz erstaunlich transparentes Klangbild, was durchaus seinen Charme hatte. Es war anders, aber nicht unbedingt schlechter. Und durch den großen Abstand war jede Musikerin und jeder Musiker gezwungen, ganz besonders gut zuzuhören und ganz besonders gut auf den Dirigenten zu schauen, damit es trotzdem ein Orchester bleibt, was als Einheit klingt. Und das ist sehr, sehr gut gelungen. Dieser Aspekt von Corona hat auch etwas Positives gehabt. Aber ich muss ehrlich sagen, nach der Lockdown Zeit, in der wir in Kurzarbeit waren und spazieren gegangen sind, kam die Zeit, in der wir sehr viel Fachfremdes tun mussten. Und das hat mich so ein bisschen in meinen Grundfesten erschüttert und mir auch die Freude an der Arbeit in gewisser Weise in gewissem Maße genommen. Es hat für alle viel zu lange gedauert bis der Normalmodus wieder erreicht war.

DH: Auf welches Projekt bist du ganz besonders stolz? Gibt es große Momente oder Meilensteine für dich?

AF:

Ich war immer froh und erleichtert, nachdem wir außergewöhnliche Projekte, wie Reiseorganisationen nach Edinburgh und Venedig oder den Auftritt des Orchesters beim Confederation Cup hinbekommen hatten. Das waren Dinge, die wir nicht regelmäßig gemacht haben. Das ist alles Neuland gewesen für uns und das musste zusätzlich zum laufenden Opernspielplan bewältigt werden. Sonst sind es eher die kleinen Momente gewesen.

Bildunterschruft:
Nicht nur beim Fußball gibt es eine Aufstellung – Positionierung des Orchesters beim Confederation Cup 2005.
AF:

Ich werde oft gefragt, was eigentlich die Aufgaben eines Orchesterdirektors sind und die sind so vielfältig, dass ich das gar nicht in zwei Sätzen beantworten kann. Ich versuche das deswegen zu beschreiben, indem ich sage: Wenn der Dirigent seinen Taktstock runterschlägt, habe ich meine Arbeit getan. Und das sind im Grunde auch die Momente, die mich stolz und glücklich machen – mit dem Gefühl Wir haben es mal wieder geschafft: Die Vorstellung findet statt, die Musiker*innen sitzen alle an ihrem Platz.

DH: Und das erfordert viel Arbeit und Koordination von so vielen Leuten und von so vielen einzelnen Dingen, die dazugehören, oder?

AF:

Richtig. Und das kann ich natürlich nicht alleine machen, da habe ich einen Stab von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das ganz hervorragend ausführen und begleiten. Diese vielen, vielen Arbeitsschritte, die dazugehören, sind von allen eingespielt.

DH: Du hast ja bereits in einem anderen Interview gesagt, dass du deinen Kontrabass entstauben und wieder mit deiner Band jammen willst. Wie konkret sind die Pläne und worauf freust du dich musikalisch abseits des Orchesters?

AF:

Also die Jazzpläne sind ganz konkret, die Band gibt es und zu den Jam Sessions gehe ich schon gelegentlich. Ich habe vor, das zu intensivieren, aber jetzt auch schon erste Pläne, wieder klassisch Musik zu machen und in Orchestern mitzuspielen, die mich als Nichtprofi aufnehmen.

DH: Du magst also Jazz und klassische Musik. Was spielst du eigentlich gern? Hast du Lieblingskomponisten?

AF:

Na ja, wenn du zum Essen eingeladen bist, musst du auch essen, was auf den Tisch kommt. Also wenn so ein Orchester sein Programm macht, dann habe ich die Wahl da mitzumachen oder nicht. Das ist der Vorteil, wenn man es als Hobby macht. Man kann es sich aussuchen. Ein/e Profimusiker*in in einem Symphonieorchester muss spielen, was kommt.

DH: Was wäre dann etwas, wo du sagst: »Da hätte ich Lust drauf!«

AF:

Das große symphonische Repertoire, Mahler Sinfonien oder Bruckner Symphonien, das ist schon was Feines.

DH: Du hast mit vielen Menschen aus aller Welt gearbeitet. Zieht es dich im Ruhestand jetzt auch hinaus in die Welt? Und gibt es Orte, die du dir bewusst vornimmst?

AF:

Es zieht mich in die Welt hinaus, aber nicht in die große, weite Ferne, weil ich irgendwann in meinem Leben mal beschlossen habe, nicht mehr zu fliegen. Ich werde mich sicherlich auf mein Fahrrad setzen und Touren machen. Fahrradfahren macht mich glücklich. Vielleicht ist es die Ruhe, die damit verbunden ist, wenn man keinen anderen Input hat. Ich halte sonst nicht so viel inne, dazu bin ich viel zu unruhig.

Konkrete Ziele habe ich noch nicht, aber Europa ist groß und schön und ich freue mich sehr darauf, einiges davon zu bereisen – auch zu Fuß. Denn ich bin der festen Überzeugung, je langsamer man sich fortbewegt, desto mehr sieht man auch.

Bildunterschruft:
Andreas Finke auf seinem bevorzugten Fortbewegungsmittel.

DH: Du machst viele Dinge in diesen Tagen zum letzten Mal. Das ist einerseits nicht leicht, aber sicher auch erleichternd, auf so manche Dinge verzichten zu können? Was wäre das?

AF:

Auf jeden Fall bin ich sehr froh, mich nicht mehr um Krankmeldungen kümmern zu müssen, die am Morgen eintreffen und am Abend zur Vorstellung muss ein Gast im Graben sitzen. Darauf kann ich sehr gut verzichten.

DH: Gibt es eine Lektion, die du gerne an die nächste Generation im Musikbetrieb weitergeben möchtest.

AF:

Ja, die Freude an der Musik, am Musikmachen hochzuhalten, denn die sorgt auch für die Qualität. Jeden Tag wieder lustvoll miteinander musizieren ist etwas Wunderschönes, was unbedingt erhalten werden muss.

DH: Hast du einen Tipp für all diejenigen – wie mich – die überfordert wären von der schieren Menge an Orchestermitgliedern, Neuproduktionen und Konzertprojekte, die du gehändelt hast. Wie behältst den Überblick?

AF:

Also ich bin eher ein kreativer Chaot. Auf meinem Schreibtisch türmen sich die Zettel und je mehr Anforderungen ich gleichzeitig reinkriege, desto leistungsfähiger werde ich. Ich bin nicht der Typ, der sich an einen leeren Schreibtisch setzt und ein Konzept entwickelt. Und ich glaube, das ist mir in dem Job sehr entgegengekommen, weil man doch sehr vielseitig sein muss und sehr schnell in manchen Dingen. Oft kam es vor, dass ich Dinge gleichzeitig bearbeiten musste, damit sie vorangebracht werden können. Wenn man den Job hat, der zu den persönlichen Eigenschaften passt, dann kann das auch ein Vorteil sein. Das hat bei mir gepasst und das finde ich sehr beglückend. Ich glaube, dieses Gefühl habe ich in der Rückschau auch – ich habe alles richtig gemacht in meinem Leben. Ich bin ja als Kontrabassist gestartet – falsch gemacht, aber dann noch die Kurve gekriegt und durchaus da gelandet, wo ich hingehöre.

DH: Wie sieht die letzte Woche jetzt noch für dich aus?

AF:

Sehr voll. Also das ist eigentlich jedes Jahr so ein riesiger Endspurt (zu Spielzeitende) und ich bin dann auch nicht fertig am 6. Juli. Ich muss noch ein paar Tage Abrechnungen und Statistik machen und so was. Das ist auch jedes Jahr so, aber es ist abzusehen. Ja, es sind halt nur noch zwei Wochen.

DH: Vielen Dank für dieses Gespräch – und für viele Jahre Engagement, Improvisationstalent und Teamarbeit hinter den Kulissen. Wir wünschen dir für deinen neuen Lebensabschnitt viel Freude beim Musizieren, auf dem Fahrrad und bei allem, was jetzt kommt.

SZENENFOTOS Barbara Aumüller, Monika Rittershaus

FOTOS Portrait Andreas Finke (Barbara Aumüller)

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Veröffentlicht am

30.06.2025

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