Oper in zwei Akten und einem Nachspiel / Text von Leo Feld / Uraufführung 1980, Opernhaus, Nürnberg, Kritische Neuausgabe (2003) / In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Zemlinskys Traumgörge schafft eine seltene Nähe zwischen menschlichem Schicksal und kreativen künstlerischen Kräften; es stellt existentielle Fragen: Wer ist Außenseiter? Wie reagiert eine Gesellschaft auf »Träumer«? Wie gefährlich sind selbst kreierte Märchenwelten, wenn sie die Realität ersetzen sollen? Somit hat Der Traumgörge seit seiner Entstehung 1906 nichts an Aktualität eingebüßt.
Vom 25. Februar – 31. März im Opernhaus.
»Lebendig müssen die Märchen werden, lebendig und wirklich, und atmen und walten!«
AUSSENSEITER?
Text von Zsolt Horpácsy
Die Gegenüberstellung von Kunst und Realität sowie der Kampf der Geschlechter gehörten zu den zentralen Themen für viele Wiener Künstler*innen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, so auch für Alexander Zemlinsky, eine prägende Persönlichkeit dieser Epoche. Er war Lehrer von Arnold Schönberg und Freund Gustav Mahlers, stand aber im Schatten seiner berühmten Kollegen. 1938 musste er vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen, wo er 1942 einsam und vergessen starb. Erst seit den 1980er Jahren wurden seine faszinierende Kompositionstechnik und die elementare Kraft seiner Klangsprache erkannt. Seitdem werden Zemlinskys Werke zwar regelmäßig, doch immer noch nicht ihrem künstlerischen Rang entsprechend häufig aufgeführt.
Die Geschichte vom Traumgörge vereint vielerlei Elemente des Fin de siècle, insbesondere der damals gerade aufgekommenen Psychoanalyse und Traumdeutung Sigmund Freuds mit Gratwanderungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Freud und seine Schüler versuchten in diesem Zusammenhang, unterbewusste seelische Vorgänge zu entziffern. Die Hirnaktivität im Schlaf wurde durch ihre Impulse zur zentralen Inspirationsquelle auf den Gebieten von Literatur, Theater und Musik. Auch Görge, der Titelheld von Zemlinskys Oper, verarbeitet in seinen Träumen Ängste und Schicksalsschläge. Er lebt in der Welt seiner Bücher und verliebt sich in eine Traumprinzessin.
1906, während seiner erfolgreichen Tätigkeit als Erster Kapellmeister an der Volksoper Wien, stellte Zemlinsky sein drittes Bühnenwerk vor. Zusammen mit seinem Librettisten Leo Feld hatte er ab 1904 ein verwickeltes Psychodrama für die Opernbühne entworfen. Seine üppige, spätromantische Instrumentation erinnert an die harmonische Konzentration von Schönbergs sinfonischer Dichtung Pelléas et Mélisande und Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1 (Titan). Doch Zemlinskys leidenschaftliche Musik wirkt dabei nie plagiativ: Sie vermittelt Glück und Leid, Euphorie und Melancholie immer durch eine authentische Klangsprache.
Trailer zu »Der Traumgörge« von Alexander Zemlinsky
PLAY, AUGEN ZU UND OPER!
Dramaturg Zsolt Horpácsy erzählt Ihnen mehr zur Handlung, Entstehungsgeschichte und Inszenierung dieses sehr selten aufgeführten Werks. Alle Auftakt-Folgen finden Sie bei SoundCloud,Spotifyund ApplePodcasts.
rein hören
HANDLUNG
Bücher und Traumwelten bedeuten dem waisen Dorfburschen Görge alles: Er ist in seine Traumprinzessin verliebt. Doch er soll Grete, seine Cousine, heiraten. Sie aber wünscht sich von ihm mehr Realitätssinn. Görge weiß genau, dass er in der Dorfgemeinschaft niemals akzeptiert wird und plant, in die weite Welt hinauszuziehen. Und Grete würde lieber den bodenständigen Hans heiraten. So läuft Görge vor seiner eigenen Verlobung davon und will seine Lebensträume verwirklichen.
Sein Plan scheitert: Nach der Flucht strandet er als Trinker in einem anderen Dorf. Auch dort gilt Görge als Außenseiter. Um einen Aufstand gegen »die Mächtigen da oben« zu organisieren, wird ein Sprecher gebraucht. Die Bauern schlagen den belesenen und wortgewandten Görge vor. Dafür müsste er allerdings mit Gertraud, die im Dorf als Hexe verschrien ist, brechen. Bei ihr hat er aber Trost im Leid gefunden. Görge erkennt die blinde Aggression der aufständischen Bauern und die Leere seiner eigenen Märchenwelten. Als er sich weigert, Gertraud zu verlassen, bekommen die beiden durch den gewalttätigen Mob zu spüren, dass es in dieser Gesellschaft keinen Raum für Außenseiter und Träume gibt.
Vielleicht anderswo?
MARKUS POSCHNER
MUSIKALISCHE LEITUNG
Das gesamte Gebilde dieser Oper gleicht einer übergroßen Chiffre für Ausgrenzung aus der Gesellschaft, einer Allegorie der Sehnsucht nach Glück und traumgleiche Utopie der Integration in eine unerreichbare bürgerliche Welt. Mir kommt es so vor, als ob das Doppelbödige, das Märchenhafte, das Kindlich-Naive und eben immer wieder das Surreale in dieser Oper die vorherrschenden Parameter sind. Nie kann man in diesem Werk dem Offensichtlichen trauen: überall Maskerade. Ich würde sogar das gesamte Gebilde als große ›Als-Ob-Oper‹ bezeichnen.
Wir haben es hier mit einer Art musikdramatischer Verarbeitung des selbst Erlebten zu tun, so intensiv und offensichtlich ließ Zemlinsky auch Persönliches in die Komposition einfließen. Auch er selbst kam in der Welt der Wiener Gesellschaft nie richtig an, nicht einmal als ausgewiesenes Wunderkind. Den Konservativen war er zu modern und den Modernen zu konservativ. Es blieb kein Raum für ihn als Außenseiter, schon gar nicht für ihn als gebrochenen Träumer nach der vernichtenden Zurückweisung durch die schillerndsten Figur der damaligen Wiener Szene: seine Geliebte Alma Schindler, die spätere Frau Gustav Mahlers.«
»... und das macht quasi die Magie«, sagt Verhangmeister Timo Bambei über den Goldregen am Ende von »Der Traumgörge«. Bevor Timo Sie in das Geheimnis des Goldregens einweiht, erzählt Regisseur Tilmann Köhler mehr über den historischen Kontext des Werks und die Bandbreite der Motive, die sich daraus ergeben. Wie sich das in der Inszenierung niederschlägt, erfahren Sie im Interview.
Interview mit Regisseur Tilmann Köhler zu »Der Traumgörge«
RUND UM IHREN BESUCH
OPER IM DIALOG
Nachgespräch zur Premiere Der Traumgörge
Nach ausgewählten Vorstellungen möchten wir gemeinsam mit Ihnen ins Gespräch kommen, um die Aufführungen kritisch zu diskutieren. Zu ausgewählten Terminen laden wir externe Gäste ein, die Musiktheater aus ihrem jeweiligen Fachgebiet heraus betrachten und so den Dialog bereichern.
TERMIN 3. März 2024 Im Anschluss an die Vorstellung
Keine andere Oper Giuseppe Verdis treibt so atemlos und zielgerichtet ihrem tragischen Ende entgegen, wie Rigoletto. Regisseur Hendrik Müller hat in seiner Inszenierung keine Scheu vor starken Bildern und grellen Effekten, ohne dabei die tragische Selbstzerstörung der Titelfigur aus dem Blick zu verlieren. Rigoletto – vom 4. Oktober – 8. November 2024 an der Oper Frankfurt.
Katerina Ismailowa ist gefangen in ihrer Ehe mit dem Kaufmann Sinowi. Ihr Schwiegervater terrorisiert sie. Mit beißend satirischem Tonfall charakterisiert Schostakowitsch eine trostlose Welt, in der Katerina ihr Lebenshunger und ihre Sehnsucht nach Liebe zum Verhängnis werden. Vom 29. September – 26. Oktober 2024 an der Oper Frankfurt.
Ein Träumer, ein Befehlsverweigerer, ein Held? Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann entwickeln in ihrer Oper eine eigene Lesart des bekannten Dramas von Heinrich von Kleist. Vom 22. September – 2. November 2024 an der Oper Frankfurt.
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