23.12.2024
MASKERADE
Carl Nielsens »Maskerade« ist ein Meisterwerk voller Humor, Esprit und musikalischer Raffinesse – in Dänemark längst Kult, bei uns ein echter Geheimtipp – vom 10. Januar bis 14. Februar 2025 an der Oper Frankfurt.
Nina Brazier ist gebürtige Waliserin und seit August 2018 Regieassistentin an der Oper Frankfurt. Neben ihrer Arbeit als Regieassistentin ist sie erfolgreiche Podcasterin und Mutter eines kleinen Sohns. In ihrem Probentagebuch schildert sie ihren intensiven Arbeitsalltag und gewährt spannende Einblicke in den Wiederaufnahmeprozess von Verdis La forza del destino.
Regisseur Tobias Kratzer versetzt Verdis Oper in den Kontext der letzten 150 Jahre Nordamerikanischer US-Geschichte. Dabei spinnt er den Erzählfaden in insgesamt fünf Bildern entlang der Geschichte des Rassismus in den Vereinigten Staaten von der Zeit der Sezessionskriege bis zur Gegenwart der Obama-Jahre und der »Black Lives matter«-Bewegung. Die Zeitsprünge erfordern viele Bühnenbild- und Kostümwechsel. Nicht einfach, eine solch überbordende Inszenierung in nur knapp zwei Wochen zurück auf die Bühne zu heben.
Heute beginnen wir mit den ersten Proben für die Wiederaufnahme von »La forza del destino« von Tobias Kratzer. Ich habe ihm bereits während der Premierenproben assistiert, daher leite ich nun die Wiederaufnahme. Weil das Bühnenbild so groß ist und wir viele verschiedene Bühnenbildwechsel haben, proben wir sogar auf zwei Probebühnen! Ich werde also oft zwischen den zwei Bühnen hin und her springen müssen. Während wir bei der Premiere sechs Wochen Zeit hatten, muss es bei der Wiederaufnahme in zwei Wochen klappen … Es bleibt also spannend!
Gestartet haben wir heute Vormittag mit dem 1. Akt, der Esszimmerszene, die in den Südstaaten zur Zeit der Sklaverei im frühen 19. Jahrhundert spielt. Hier werden die Zuschauer*innen in das Stück eingeführt und lernen die Charaktere kennen. Abends kam zum ersten Mal der Dirigent Pier Giorgio Morandi dazu. Seine Energie und seinen Enthusiasmus hat er direkt an die Solist*innen weiter gegeben. Der erste Probentag lief gut! Die Gäste sind gut vorbereitet und finden sich gut ein.
Heute nehmen wir uns den 2. Akt vor, die Saloon-Szene, die zur Zeit der Sezessionskriege spielt und in der weitere Figuren des Stücks etabliert werden. Nicht alle Rollen können mit exakt denselben Sänger*innen wie in der Premiere besetzt werden. Die »Neuen« muss ich erst in das Geschehen bringen. Sie haben zur Vorbereitung den Mitschnitt der Originalinszenierung gesehen, und abends spreche ich mit ihnen die Abläufe durch: Wer steht wann wo und nimmt zu welchem Zeitpunkt welche Requisiten? Eine Wiederaufnahme ist ein bisschen wie ein Puzzle: Man friemelt jedes noch so kleine Detail zusammen, bis es sitzt.
Abends werden wir uns noch das Kriegsbild aus dem 3. Akt vornehmen, das zur Zeit des Vietnamkriegs spielt. Es ist wohl eine der anspruchsvollsten Szenen, die mich in den nächsten Tagen am meisten Kopfzerbrechen kosten wird. In dieser Szene ist unglaublich viel los: Fast das komplette künstlerische Personal steht auf der Bühne und ist an Umbauten beteiligt, die auf den Punkt genau sitzen müssen. Da sind zum Beispiel sieben Palmen, ein großer Turm, ein Jeep – das alles wird in diversen Szenenwechseln hin und her bewegt. Es ist noch viel zu tun!
Wir proben nicht alles linear an der Handlung entlang. Aus dem 3. Akt sind wir heute wieder in den 2. Akt gesprungen, in die Klosterszene. Leonora bittet hier um die Aufnahme in ein Kloster (eine wunderschöne Arie, die von Izabela Matuła gesungen wird). Die größte Herausforderung der letzten Tage: Manche Solist*innen sind auch in anderen Stücken involviert und können deshalb nicht die ganze Zeit mit uns proben. Das heißt, einige Stellen können wir noch nicht, oder nur angedeutet probieren.
Morgen habe ich einen Tag frei und kann mich etwas ausruhen und Kraft tanken für die nächste Woche.
In den letzten Tagen haben wir viel Zeit in das Kriegsbild im 3. Akt investiert. Das dauert über eine Stunde und es ist super viel los auf der Bühne. Es gibt die amerikanischen GIs, die viele Umbauten und vor allem eine später wichtige Sequenz mit Palmen meistern müssen. Es ist schwierig, das auf der Probebühne zu skizzieren, denn sie ist viel kleiner als die eigentliche Bühne, und auch die »Probenpalmen« sind viel kleiner. Eine andere Szene, die mit unseren Gogo-Girls und Preziosilla, ist ebenfalls schwer, weil die Darstellerinnen so viele Requisiten nutzen: Da gibt es zum Beispiel Wasserpistolen und »richtige« Pistolen, einen Riesenkuchen und Masken. Die Originalrequisiten können wir erst bei der Schlussprobe nutzen. Langsam wird es ernst, denn schon am 24. Mai geht es auf die große Bühne.
Am Samstag war die technische Einrichtung des Bühnenbilds auf der großen Bühne. Wir haben die letzten Tage auf der Probebühne genutzt, um die Saloon-Szene im 2. Akt und das Kriegsbild des 3. Akts (Stockbetten, GIs, Gogo-Girls und vietnamesische Zivilisten) zu üben. Endlich hatten wir alle Statist*innen da und konnten die gesamte Choreografie durchgehen.
Da wir auf der Probebühne keinen kompletten Durchlauf des Stücks schaffen werden – das Stück ist einfach zu groß! –, werden wir erst bei den Bühnenproben sehen, wie gut die einzelnen Szenen und Übergänge funktionieren. Aber die Statist*innen sind alle bereit! Ich bin optimistisch, dass es gut wird, wenn wir morgen auf die Bühne gehen.
Ab heute haben wir zwei Probentage auf der Bühne. Das größte Problem: Dienstagabend ist fast immer »technikfrei«, das heißt alle Bühnenarbeiter*innen haben an diesem Tag frei. Für uns bedeutet das: Keiner bewegt Möbel und Bühnenteile. Wir können so zwar proben, aber weil ohne Technik keine Umbauten möglich sind, sind vor allem die Übergänge zwischen den fünf Bildern schwer zu skizzieren.
Trotz »technikfrei« haben wir gestern einen »Quasidurchlauf« geschafft. Nur den 3. Akt haben wir ausgespart, denn ohne Technik ist der einfach nicht möglich. Deswegen machen wir den heute. Es ist eine sehr große Probe: Alle Solistinnen, Statistinnen und der ganze Chor sind da!
Und alle Umbauten müssen jetzt von der Seitenbühne aus gemacht werden, was echt schwer ist, denn hier ist alles anders als auf der Probebühne. Vor allem die Szene, in der der Jeep auf die Bühne fährt, ist knifflig – man muss im wahrsten Sinne des Wortes schauen, dass keiner unter die Räder kommt. Die Palmen werden zur Musik bewegt und dürfen dem Jeep nicht im Weg stehen. Außerdem gibt es verschiedene »Knock-on«-Effekte , da muss jede Palme und auch der Turm pünktlich auf der Bühne sein.
Dafür hatten wir heute endlich eine Probe mit Musik (Klavier) und Technik. Am Vormittag sind wir gut durchgekommen. Abends kamen die Statist*innen dazu, da wurde es etwas stressiger. Viele von ihnen haben tagsüber meist noch einen anderen Job, deshalb kann man mit ihnen nur abends proben. Gar nicht so leicht alle Akteur*innen auf der Bühne gleichzeitig zu organisieren! Der stressigste Teil dieser Abendprobe: Die Flugprobe mit Bianca Andrew, sie spielt die Preziosilla. Im 3. Akt fliegt sie hoch in den Schnürboden. Bei so einem Flug gilt »safety first«!
Schlussprobe! Wegen des Feiertags fehlte uns heute ein bisschen Zeit. Das Orchester und die Solistinnen, die Statistinnen und der Chor waren zum ersten Mal alle zusammen im Einsatz. Glücklicherweise haben wir unsere Inspizientin Anskje Matthiesen mit ihrer ruhigen Energie. Sie hat alle Hände voll zu tun, denn sie muss nicht nur die Technik koordinieren, sondern auch alle Sänger*innen zur richtigen Zeit auf die Bühne rufen. Ich bin immer dankbar für ihre Präsenz!
Ablauf, Stop, Start, Korrekturen – die Schlussprobe war auch gleichzeitig die Orchesterhauptprobe. Da haben wir insgesamt 5 Stunden gebraucht! Aber am Ende sind wir gut durch gekommen. Zum Schluss war noch die Applausordnung mit allen Beteiligten dran – ja, an Theatern wird auch Applaus geübt! Am Sonntag geht’s weiter mit der Wiederaufnahme.
Der größte Teil der Arbeit ist schon bei der Schlussprobe gemacht. Aber auch am Wiederaufnahmetag gibt es noch Dinge zu tun. Deshalb bin ich schon tagsüber im Haus. Preziosilla (Bianca Andrew) hat eine neue Position, da der Flug in der Schlussprobe noch nicht ganz reibungslos funktioniert hat. Im Klosterbild im 2. Akt bringt der Herrenchor die Tische auf die Bühne, die sie dann zu einem großen Bild zusammensetzen. Fällt ein Chorist aus, muss ich das wissen, denn jeder Tisch wird von zwei Herren getragen. Deshalb prüfe ich immer ob alle da sind, oder ob jemand einspringen muss. Heute zum Glück nicht!
Vor der Vorstellung bin ich nochmal durch die Garderoben gelaufen, habe letzte Korrekturen und das berühmte Toi Toi Toi verteilt. Währen der Vorstellung war ich auf der Seitenbühne links und habe den Solist*innen Zeichen für ihre Auftritte gegeben. Zu meiner Erleichterung: Die Umbauten haben gut geklappt. Natürlich sind auch ein paar Dinge anders gelaufen als geplant, aber das gehört eben auch zum Theateralltag – Improvisation ist alles!
Schlussapplaus! Der schönste und manchmal emotionalste Moment. Ein Glück, dass ich noch ein paar Abendvorstellungen mit diesem tollen Team betreuen darf.
SZENENFOTOS Barbara Aumüller
FOTOS Nina Brazier
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Veröffentlicht am
15.06.2022
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