Oper in vier Akten / Text von Claus H. Henneberg nach Yvan Goll / Uraufführung 1971, Schlosstheater, Schwetzingen
Naturmythos trifft Großstadtneurose: In Aribert Reimanns klanglich eindrucksvoller Oper »Melusine« gerät eine geheimnisvolle Frau zwischen Weltflucht und Wirklichkeit aus dem Gleichgewicht. Eine faszinierende Reise durch das Seelenleben einer Figur jenseits aller Konventionen.
Melusine leidet unter der Engstirnigkeit ihres Ehemanns Oleander und dem bürgerlichen Standesdünkel ihrer Mutter. Eine Gegenwelt findet die junge Frau in einem verwilderten Park, in dem Pythia als »Königin der Weiden« herrscht. Als der Park einem Schloss weichen soll, stachelt Pythia Melusine zum Widerstand an. Ausgestattet mit einem Fischschwanz, der ihr eine unwiderstehliche Anziehungskraft verleiht, verführt Melusine zahlreiche am Bau beteiligte Arbeiter. Den Verlust des Parks kann sie aber nicht verhindern.
Bei der Eröffnung des Schlosses verliebt sich Melusine in den Bauherrn, Graf von Lusignan. Pythia schwört daraufhin Rache für Melusines Verrat. Sie entfacht einen infernalischen Brand, der nicht nur die beiden Liebenden mit in den Abgrund reißt.
PLAY, AUGEN ZU UND OPER!
In Kürze erscheint die Einführung zu Melusine von Dramaturg Maximilian Enderle. Bis dahin finden Sie alle Auftakt-Folgen auf SoundCloud sowie auf Spotify und ApplePodcasts.
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Zum Werk – Aileen Schneider, Regisseurin
ZWISCHEN AUFBEGEHREN UND APOKALYPSE
»Als junger Mensch scheint einen die transgenerationell angesammelte Last vergangener Kriege und menschlich induzierter Naturkatastrophen sowie der Druck, klare Lösungen dafür zu finden, beinahe zu ersticken. Welche Verantwortung trage ich als Individuum dafür, dass die gesamte Gesellschaft, das Ökosystem – kurz: die Welt – nicht unter unseren Händen zugrunde geht?
Und ist es letztlich nicht der nachvollziehbare Wunsch eines jeden Menschen, selbst im Angesicht des Untergangs noch die persönliche Erfüllung zu finden? Würden wir nicht alle lieber mit dem, was uns bleibt, ein friedvolles Leben führen? Denn was ist die Zukunft im Vergleich zum Hier und Jetzt?
In Reimanns Oper folgen wir Melusine, die stellvertretend für eine idealistische, lösungsorientierte Gesellschaft steht, bei einem Coming of Age-Prozess. An dessen Ende wartet die Erkenntnis, dass man alleine sowieso nichts ändern können wird. Die Begegnung mit dem Grafen und seinem Schloss nimmt den Druck aus ihrer Sinnsuche. Hier darf Melusine sein, wer sie ist. In dieser Erleichterung aufgehend, kann sie der eigenen Vergänglichkeit eine lebendige Schönheit abgewinnen. Doch sie wird dafür bestraft …«
Die Uraufführung von Melusine fand 1971 bei den Schwetzinger Festspielen statt. Wie sehr das Werk den Zeitgeist der 70er Jahre treffen würde, konnten Reimann und Henneberg damals nur bedingt ahnen. 1972 veröffentlichte der Club of Rome seine berühmte Publikation Die Grenzen des Wachstums, worin die ökologischen Folgen des globalen Kapitalismus minutiös beschrieben wurden. Angefacht durch die Skepsis gegenüber der Atomkraft und einer immer stärker sichtbaren Umweltzerstörung, gründeten sich im weiteren Verlauf des Jahrzehnts zahlreiche ökologische Initiativen.
Auch auf die Rezeption von Reimanns Oper hatten diese Entwicklungen ihren Einfluss. So wurde Melusine ab den 1980er Jahren gemeinhin als »Umwelt-Oper« interpretiert. Für den Librettisten Claus Henneberg deckt dies aber nur einen Aspekt ihres Gehalts ab. Rückblickend äußerte er: »Wer sich von der Kunst eine handliche Lebensunterweisung verspricht, mag diese Oper als ein ökologisches Sujet betrachten. Dabei ist sie viel mehr als das, bleibt sie, wie in ihrer literarischen Form, ambivalent.« Gerade die innerpsychologische Entwicklung der Protagonistin steht dabei quer zu einer eindimensionalen politischen Lesart. So beschreibt Henneberg, dass Melusine während ihres unerbittlichen Kampfes für die Natur primär um sich selbst kreist und erst in der Begegnung mit dem Grafen von Lusignan ein ernstzunehmendes Gegenüber findet. Ihre Selbstbezogenheit legt Melusine also just in dem Moment ab, in dem sie eine Liebesbeziehung mit ihrem erklärten Feind eingeht.
»Die Figur der Melusine sehe ich als eine liebende und kämpfende Frau, die eine besondere Naturverbundenheit in sich trägt. Sie spricht in ihrer eigenen poetischen Sprache über ihre innere Welt, die sich im sie umgebenden Park widerspiegelt. In der Natur findet sie Trost und Ruhe.
Daher tritt sie auch als Umweltschützerin auf. Melusine ist ehrlich, mit einem offenen Herzen für die
Welt. Deshalb kämpft sie so heftig für ihre Überzeugungen und brennt so schnell im Feuer ihrer tiefen Gefühle.
Was mich am Erarbeiten zeitgenössischer Opern am meisten reizt, ist die Vielzahl an interpretatorischen Wegen und Möglichkeiten. Besonders spannend ist für mich im kreativen Prozess
die Suche nach Antworten auf meine eigenen Fragen an die Figur. So finde ich nach und nach die passenden Klangfarben und darstellerischen Nuancen. Die musikalische Sprache von Aribert Reimann ist für mich neu, ich bin jedoch sehr neugierig, in seine Musikwelt einzutauchen. Als großer Liedspezialist kannte sich Reimann hervorragend mit Stimmen aus, sodass die Rolle der Melusine trotz höchster Anforderungen in intensiven Koloraturen und einem großen Umfang stimmlich bequem bleibt.
Meine persönliche Herausforderung liegt darin, Melusine so lebendig werden zu lassen, dass sie vom Publikum geliebt und verstanden wird. So dass die Menschen nach der Vorstellung aus dem Bockenheimer Depot gehen und denken: ›Ach, schön war’s!‹«
Worte finden, mitreden, Fragen stellen, Begeisterung oder Verwunderung teilen ... Uns interessiert, wie Sie den Opernabend erlebt haben! Nach ausgewählten Vorstellungen möchten wir gemeinsam mit Ihnen ins Gespräch kommen, um die Aufführungen kritisch zu diskutieren. Zu ausgewählten Terminen laden wir externe Gäste ein, die Musiktheater aus ihrem jeweiligen Fachgebiet heraus betrachten und so den Dialog bereichern.
TERMIN
13. Juni, im Anschluss an die Vorstellung, Bockenheimer Depot
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