Hero Bild
Gastbeiträge

DIE SEELE BEWEGEN UND INSPIRIEREN

Dirigent und Cembalist Laurence Cummings über G.F. Händels »Hercules«

In diesem Gastbeitrag schreibt Dirigent Laurence Cummings seine Gedanken zu Hercules nieder. Er leitete bereits die Premiere dieses Oratoriums in der Spielzeit 2022/23 und kehrt nun zur Wiederaufnahme am 8. September an das Dirigentenpult zurück.

Bildunterschruft:
Paula Murrihy (Dejanira) und Anthony Robin Schneider (Hercules) kehren aus der Premierenbesetzung zur Wiederaufnahme ab dem 8. September 2024 zurück. @ Monika Rittershaus

NOTIZEN ZU »HERCULES«

2002 habe ich Händels Hercules zum ersten Mal in einem Konzert dirigiert. Ich war sofort von der lebendigen, harmonischen und dramatischen Musiksprache beeindruckt, und es war mir ein großes Vergnügen, dieses wunderbare Werk für unsere Aufführung hier in Frankfurt zu vertiefen.

Hercules ist ein Musikdrama in drei Akten, das Libretto stammt von Thomas Broughton, das am 5. Januar 1745 im Kings Theatre Haymarket London uraufgeführt wurde. So steht es auf der ersten Seite unserer Ausgabe. Ich lese das gerne jeden Morgen vor der Probe, um mich in diesen außergewöhnlichen Moment der Musikgeschichte zurückzuversetzen. Händel hatte bei seiner Ankunft in England 1711 die Londoner Bühne mit seinen Opern erobert.

Fast vier Jahrzehnte später nimmt er ein sehr opernhaftes Thema in Angriff, aber in der Art eines Oratoriums, einer Form, die normalerweise für biblische Geschichten reserviert ist. Wie in Semele, Händels anderem nichtreligiösen Musikdrama, setzt Händel das Orchester und den Chor mit großer Fantasie und Flair ein, und kreiert so eine harmonische Sprache, die Grenzen überschreitet, die in seiner Musik bisher unbekannt waren. Ich habe die (rein mutmaßliche) Theorie, dass Händel seiner Musikbibliothek zu dieser Zeit französische Musik hinzufügte, und ich stelle mir gerne vor, dass er, nachdem er die Musik von Rameau kennengelernt hatte, dazu kam, auf diese Weise zu schreiben. Seine pikanten harmonischen Verläufe illustrieren perfekt die mythische und quälend tragische Natur der Herkules-Geschichte.

Bildunterschruft:
Michael Porter (Hyllus), Kelsey Lauritano (Lichas) und Paula Murrihy (Dejanira) © Monika Rittershaus

Mit dem Messias und Samson in der Tasche war Händel auf dem Höhepunkt seiner musikalischen Fähigkeiten und nutzte diese, um den menschlichen Zustand in all seiner Zerbrechlichkeit darzustellen. Was für eine Geschichte!

Der letzte Akt hat eine Todesszene für Hercules, dicht gefolgt von einer Szene für Dejanira, Hercules’ Frau und unwissentlicher Mörderin, in der sie dem Wahnsinn verfällt. Hier muss das Orchester von einer dramatischen Situation in die nächste wechseln, zunächst für Hercules, der zu Tode verbrennt, und dann für Dejanira, in deren Kopf Stimmen die Furien heraufbeschwören, um sie mit dem Schuldgefühl zu quälen, den Tod ihres Mannes verschuldet zu haben.

In beiden Szenen vermitteln zerklüftete Rhythmen und ungleichmäßige Phrasenlängen das Gefühl des Kontrollverlusts; bei Hercules steigern schnelle Noten im Orchester die Hitze und Concitato-Bogenstriche das Leiden, während bei Dejanira chromatische Linien den Schmerz ihrer verinnerlichten Emotionen vermitteln und weichkantige Streicher uns plötzlich in die dunkelste Nacht versetzen, in der sie sich danach sehnt, vor allem verborgen zu sein.

Im Vergleich zu seinen Opern geht Händel in diesen späten Musikdramen sparsam mit den Da-Capo-Arien um und verwirrt unsere Erwartungen ständig mit wechselnden Formen, die mal ausgedehnt, mal verkürzt, aber immer perfekt dosiert sind, um einen maximal dramatischen Effekt zu erzielen.

Die Rezitative sind kurz und prägnant, und die Chöre spiegeln den Protagonisten ihre eigenen Gedanken und Gefühle zurück. Auch wenn er diesen Begriff nicht kannte, ist Händel ein Meister der Psychologie, und das Werk zeigt die Macht der Musik, die menschliche Seele zu bewegen und zu inspirieren.

Dieser Text erschien erstmals im Programmheft zur Premiere von Hercules im April 2023.

Ikone der historischen Aufführungspraxis

Laurence Cummings ist sowohl als Dirigent als auch als Cembalist einer der vielseitigsten Vertreter historischer Aufführungspraxis. Aktuell ist er musikalischer Leiter der Academy of Ancient Music, des Londoner Händel Festivals und des Orchestra Barroca Casa da Música in Porto. Mit Hercules-Regisseur Barrie Kosky verbindet ihn bereits die Zusammenarbeit für Saul beim Glyndebourne Festival in seiner Heimat Großbritannien, wo er auch Giulio Cesare und The Fairy Queen leitete. Detaillierte Biografie hier.

Laurence Cummings © Robert Workman

Neugierig geworden?

Lurence Cummings dirigiert alle Vorstellungen von Hercules vom 8. September – 10. Oktober 2024.

Ticket
buchen

Video
Trailer zu »Hercules«

SZENENFOTOS Monika Rittershaus

FOTOS Robert Workman

Teilt eure Fotos mit dem Hashtag

#OFFMHercules auf Instagram und seid dabei!

Veröffentlicht am

04.09.2024

Willy-Brandt-Platz

Spielort

Willy-Brandt-Platz

60311 Frankfurt am Main

Anfahrt

Google Maps

Das könnte auch interessant sein

OTELLO VS. OTELLO

23.05.2024

OTELLO VS. OTELLO

Sesto Quatrini dirigiert Otello – und das gleich in zwei Versionen! Von Mai bis Juli 2024 kann man sowohl Rossinis als auch Verdis Vertonung der Otello-Geschichte an der Oper Frankfurt erleben. Am Pult steht jeweils Herr Quatrini, der in diesem Gastbeitrag darüber spricht, wo die Unterschiede liegen und was für ihn die größte Gemeinsamkeit darstellt.

Jetzt weiterlesen