Nina Brazier ist gebürtige Waliserin und seit August 2018 Regieassistentin an der Oper Frankfurt. Nebenbei betreibt sie den Podcast The Opera Pod und ist Mutter eines kleinen Sohns. In unserem Probentagebuch schildert sie ihren intensiven Arbeitsalltag und gewährt spannende Einblicke in den Wiederaufnahmeprozess von Verdis La forza del destino.
Regisseur Tobias Kratzer versetzt Verdis Oper in den Kontext der letzten 150 Jahre Nordamerikanischer US-Geschichte – von der Zeit der Sezessionskriege bis zur Gegenwart der Obama-Jahre und der »Black Lives Matter«-Bewegung. Diese Zeitsprünge erfordern viele Bühnenbild- und Kostümwechsel. Nicht einfach, eine solch überbordende Inszenierung in nur knapp zwei Wochen zurück auf die Bühne zu bringen. Nina Brazier assistierte bereits während der Premierenproben 2019 und leitet nun die Wiederaufnahme.
PROBENSTART – ALTE UND NEUE GESICHTER
Donnerstag, 12. Mai: Heute beginnen wir mit den ersten Proben für die Wiederaufnahme. Weil das Bühnenbild so groß ist und wir viele verschiedene Bühnenbildwechsel haben, proben wir sogar auf zwei Probebühnen! Ich werde also oft zwischen den zwei Bühnen hin und her springen müssen. Während wir bei der Premiere sechs Wochen Zeit hatten, muss es bei der Wiederaufnahme in zwei Wochen klappen … Es bleibt also spannend!
PALMEN, EIN JEEP UND DER TURM – WIEDERAUFNAHMEN GLEICHEN EINEM PUZZLE
Freitag, 13. Mai: Heute nehmen wir uns den 2. Akt vor, die Saloon-Szene, die zur Zeit der Sezessionskriege spielt. Nicht alle Rollen können mit exakt denselben Sänger*innen wie in der Premiere besetzt werden. Die »Neuen« muss ich erst in das Geschehen bringen. Sie haben zur Vorbereitung den Mitschnitt der Originalinszenierung gesehen, und abends spreche ich mit ihnen die Abläufe durch: Wer steht wann wo und nimmt zu welchem Zeitpunkt welche Requisiten? Eine Wiederaufnahme ist ein bisschen wie ein Puzzle: Man friemelt jedes noch so kleine Detail zusammen, bis es sitzt. Besonders viel Spaß macht es zu sehen, wie persönliche und künstlerische Beziehungen zwischen unseren Ensemblemitgliedern, den Gastsänger*innen und dem künstlerischen Team während einer Probenphase entstehen. Beim Probenprozess geht es für mich darum, in einen Dialog miteinander zu treten und die Idee des Stücks gemeinsam zu erarbeiten, damit die Produktion für diejenigen, die neu damit anfangen, wirklich funktioniert.
Abends werden wir uns noch das Kriegsbild aus dem 3. Akt vornehmen, das zur Zeit des Vietnamkriegs spielt. Es ist wohl eine der anspruchsvollsten Szenen. Hier ist unglaublich viel los: Fast das komplette künstlerische Personal steht auf der Bühne und ist an Umbauten beteiligt, die auf den Punkt genau sitzen müssen. Da sind zum Beispiel sieben Palmen, ein großer Turm, ein Jeep – das alles wird in diversen Szenenwechseln hin und her bewegt. Es ist noch viel zu tun!
Samstag, 14. Mai: Wir proben nicht alles linear an der Handlung entlang. Aus dem 3. Akt sind wir heute wieder in den 2. Akt gesprungen, in die Klosterszene. Leonora bittet hier um die Aufnahme in ein Kloster (eine wunderschöne Arie, die von Izabela Matuła gesungen wird). Die größte Herausforderung der letzten Tage: Manche Solist*innen sind auch in anderen Stücken involviert und können deshalb nicht die ganze Zeit mit uns proben. Das heißt, einige Stellen können wir noch nicht oder nur angedeutet probieren.
HERAUSFORDERUNG PROBEBÜHNE – ALLES VIEL KLEINER
Montag, 16. bis Freitag, 20. Mai: In den letzten Tagen haben wir viel Zeit in das Kriegsbild im 3. Akt investiert. Das dauert über eine Stunde und es ist sehr voll auf der Bühne. Es gibt die amerikanischen GIs, die viele Umbauten und vor allem eine später wichtige Sequenz mit Palmen meistern müssen. Es ist tricky, das auf der Probebühne zu skizzieren, denn sie ist viel kleiner als die eigentliche Bühne, und auch die »Probenpalmen« sind viel kleiner. Eine andere Szene, die mit unseren Go-go-Girls und Preziosilla (Bianca Andrew), muss ebenfalls auf den Punkt geprobt sein, weil die Darstellerinnen so viele Requisiten nutzen: Da gibt es zum Beispiel Wasserpistolen und »richtige« Pistolen, einen Riesenkuchen und Masken. Die Originalrequisiten können wir erst bei der Schlussprobe nutzen. Langsam wird es ernst, denn schon am 24. Mai geht es auf die große Bühne für die finalen Bühnenproben.
Samstag, 21. bis Montag, 23. Mai: Am Samstag war die technische Einrichtung des Bühnenbilds auf der großen Bühne. Wir haben die letzten Tage auf der Probebühne genutzt, um die Saloon-Szene im 2. Akt und das Kriegsbild des 3. Akts zu üben. Endlich hatten wir alle Statist*innen da und konnten die gesamte Choreografie durchgehen.
Da wir wegen der Aufteilung auf zwei Probebühnen keinen kompletten Durchlauf des Stücks schaffen werden, sehen wir erst bei den Bühnenproben, wie gut die einzelnen Szenen und Übergänge funktionieren. Aber, die Statist*innen sind alle bereit! Ich bin mir sicher, dass es morgen auf der großen Bühne klappen wird.
AB AUF DIE GROSSE BÜHNE: DOCH WO IST DIE TECHNIK?
Dienstag, 24. Mai: Ab heute haben wir zwei Probentage auf der Bühne. Keine leichte Aufgabe, denn Dienstagabend ist fast immer »technikfrei«, das heißt alle Bühnenarbeiter*innen haben an diesem Tag frei. Für uns bedeutet das: Keiner bewegt Möbel und Bühnenteile. Wir können so zwar proben, aber ohne Technik sind keine größeren Umbauten möglich. Vor allem die Übergänge zwischen den fünf Bildern sind so schwer zu skizzieren.
Mittwoch, 25. Mai: Trotz »technikfrei« haben wir gestern einen »Quasidurchlauf« geschafft. Nur den 3. Akt haben wir ausgespart, denn ohne Technik geht da gar nichts. Deswegen machen wir den heute. Es ist eine sehr große Probe: Alle Solist*innen, Statist*innen und der ganze Chor sind da!
Alle Umbauten werden jetzt von der Seitenbühne aus gemacht – ganz anders als zuvor auf der Probebühne.Vor allem die Szene, in der der Jeep auf die Bühne fährt, ist knifflig – man muss im wahrsten Sinne des Wortes schauen, dass keiner unter die Räder kommt. Die Palmen werden zur Musik bewegt und dürfen dem Jeep nicht im Weg stehen. Außerdem gibt es verschiedene »Knock-on«-Effekte, da muss jede Palme und auch der Turm pünktlich auf der Bühne sein.
Dafür hatten wir heute endlich eine Probe mit Musik (Klavier) und Technik. Am Vormittag sind wir gut durchgekommen. Erst abends kamen die Statist*innen dazu, denn viele von ihnen haben tagsüber noch einen anderen Job. Gar nicht so leicht, alle Akteur*innen auf der Bühne gleichzeitig zu organisieren! Der spannendste Teil: Die Flugprobe mit Bianca Andrew, sie spielt die Preziosilla. Im 3. Akt fliegt sie hoch in den Schnürboden. Bei so einem Flug gilt »safety first«!
SCHLUSSPROBE – ES WIRD ERNST
Freitag, 27. Mai: Schlussprobe: Wegen des Feiertags fehlte uns heute ein bisschen Zeit. Das Orchester, die Solist*innen, die Statist*innen und der Chor waren zum ersten Mal alle zusammen im Einsatz. Zum Glück haben wir unsere Inspizientin Anskje Matthiesen an Board. Mit ihrer Ruhe und Gelassenheit behält sie immer den Überblick. Sie hat alle Hände voll zu tun, denn sie muss nicht nur die Technik koordinieren, sondern auch alle Sänger*innen zur richtigen Zeit auf die Bühne rufen. Ich bin immer dankbar für ihre Präsenz!
Ablauf, Stop, Start, Korrekturen – die Schlussprobe war auch gleichzeitig die Orchesterhauptprobe. Es ist immer ein großes Privileg, im Parkett zu sitzen und das Stück, an dem man so intensiv mitgearbeitet hat, zu sehen und zu hören. Es ist ein unglaublich schöner Moment mitzuerleben, wie sich die Einzelteile einer Inszenierung zu einem großen Ganzen verbinden. Wir haben insgesamt 5 Stunden gebraucht, denn der Dirigent gibt seine Korrekturen immer im Anschluss an den jeweiligen Akt! Zum Schluss war noch die Applausordnung mit allen Beteiligten dran – ja, an Theatern wird auch Applaus geübt! Am Sonntag geht’s weiter mit der Wiederaufnahme.
ENDLICH WIEDERAUFNAHME
Sonntag, 29. Mai: Wiederaufnahme: Der größte Teil der Arbeit ist schon bei der Schlussprobe gemacht. Aber auch am Wiederaufnahmetag gibt es noch Dinge zu tun. Deshalb bin ich schon tagsüber im Haus. Preziosilla (Bianca Andrew) hat eine neue Position, da der Flug in der Schlussprobe noch nicht ganz reibungslos funktioniert hat. Im Klosterbild im 2. Akt bringt der Herrenchor die Tische auf die Bühne, die sie dann zu einem großen Bild zusammensetzen. Fällt ein Chorist aus, muss ich das wissen, denn jeder Tisch wird von zwei Herren getragen. Deshalb prüfe ich immer ob alle da sind, oder ob jemand einspringen muss. Heute zum Glück nicht!
Vor der Vorstellung bin ich nochmal durch die Garderoben gelaufen, habe letzte Korrekturen und das berühmte Toi Toi Toi verteilt. Während der Vorstellung war ich auf der Seitenbühne links und habe den Solist*innen Zeichen für ihre Auftritte gegeben. Zu meiner Erleichterung: Die Umbauten haben gut geklappt. Natürlich sind auch ein paar Dinge anders gelaufen als geplant, aber das gehört eben auch zum Theateralltag dazu – Improvisation ist alles!
Schlussapplaus! Der schönste und manchmal auch emotionalste Moment. Ein Glück, dass ich noch ein paar Abendvorstellungen mit diesem tollen Team betreuen darf.
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Die nächsten Vorstellungen von La forza del destino laufen am 17. und 19. Juni. Alle Infos dazu finden Sie auf unserer Website.
Wer mehr von und mit Nina Brazier erfahren möchte, sollte unbedingt in ihren Podcast The Opera Pod reinhören.
Text: Nina Brazier und Selina Stefaniak
Probenbilder: Nina Brazier / Szenenfotos: Barbara Aumüller, Monika Rittershaus
15. Juni 2022