Dass mit Fromental Halévy und seinem Librettisten Eugène Scribe zwei jüdische Künstler überhaupt ein Werk wie La Juive erarbeiten durften, lag nicht zuletzt an der politischen Situation in Frankreich zu Beginn der 1830er Jahre: Juden wurden uneingeschränkte Bürgerrechte eingeräumt, was in Europa ein absolutes Novum darstellte. Zudem vertrat Bürgerkönig Louis-Philippe nach der Juli-Revolution ein verhältnismäßig liberales Menschenbild, wofür er nicht zuletzt die Pariser Oper in die Pflicht nahm. Abend für Abend versammelten sich dort über 2000 Menschen verschiedener sozialer Schichten. Für den König war dies ein ideales Forum, um die Gesellschaft mit den Gräueltaten des Ancien Régime zu konfrontieren und die eigene Toleranz umso deutlicher hervorzukehren.
Die Intendanz der Pariser Oper gab La Juive nahezu zeitgleich mit Meyerbeers Les Huguenots in Auftrag. In beiden Werken steht der Konflikt zwischen einer religiösen Minderheit und einer gewalttätigen katholischen Mehrheit im Fokus. Und in beiden Fällen hieß der Librettist Eugène Scribe. Er skizzierte Halévy bei einem gemeinsamen Spaziergang erstmals die Handlung der Juive, woraufhin der Komponist sofort Feuer und Flamme war.
Während des Arbeitsprozesses veränderte sich die Konzeption des Werkes allerdings stark, woran auch Halevys Bruder Léon maßgeblichen Anteil hatte. Ursprünglich sah Scribe vor, dass sich Rachel im Schlussakt taufen lässt und dadurch dem Flammentod entgeht. Dieses konventionelle Ende (man denke etwa an Shakespeares Kaufmann von Venedig) wurde zugunsten eines tragischen Ausgangs verworfen: Rachel weiß bis zuletzt nicht, dass sie die leibliche Tochter von Kardinal Brogni ist. Nachdem sich die Fronten zwischen Christen und Juden im Laufe der Oper immer mehr verhärten, schlägt sie das Angebot einer rettenden Konversion aus und geht voller Überzeugung für ihren Glauben in den Tod.
Als historischer Rahmen der Oper waren anfänglich die Inquisitionsprozesse in der portugiesischen Kolonie Goa angedacht. Letztlich fiel die Wahl aber auf die Zeit des Konstanzer Konzils (1414-1418) – mit gutem Grund: Antisemitische Gewalt war in Konstanz seit vielen Jahrhunderten omnipräsent und brach sich insbesondere im Nachgang des Konzils ungehindert Bahn. So wurden bei den Kreuzzügen des in Konstanz gekrönten Kaisers Sigismund gegen die Hussiten regelmäßig Pogrome in jüdischen Stadtvierteln verübt.
Auszug aus dem Magazin Mai / Juni / Juli 2024.