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Interviews

LORENZO VIOTTI ZU »WERTHER«

EIN NETZ VON »WAHLVERWANDSCHAFTEN«

Dirigent Lorenzo Viotti steht für die Wiederaufnahme von Werther im Oktober 2017 am Dirigentenpult der Oper Frankfurt. Im Gespräch mit Dramaturg Zsolt Horpácsy erzählt Lorenzo Viotti mehr über Frankfurt, die Wiederaufnahme und seinen ersten Portugiesisch-Unterricht.

Zsolt Horpácsy: Vor wenigen Tagen hast du bei der Operngala dein Debüt an der Oper Frankfurt gegeben und ein vielschichtiges musikalisches Programm mit großem Erfolg dirigiert. Was sind deine ersten Eindrücke von der Stadt und von den Frankfurtern?

Lorenzo Viotti: Ich empfinde in dieser Stadt eine lockere Atmosphäre, habe bereits viele sehr nette Menschen getroffen. Anders als in Berlin oder in Hamburg wirkt die Stadt auf mich ausgesprochen entspannt – trotz Frankfurts Ruf als hektische Finanzmetropole.

Zsolt Horpácsy: Du dirigierst Massenets Werther in dieser Spielzeit in drei verschiedenen Produktionen (in Klagenfurt, Frankfurt und Zürich). Ist sie deine Lieblingsoper?

Lorenzo Viotti: Für mich war sehr wichtig, dieses Werk zunächst in einem kleineren Haus zu dirigieren und erst nach der ersten Begegnung mit Massenets Partitur die Wiederaufnahme an der Oper Frankfurt zu leiten. Ich bin von seiner Musik fasziniert, kann aber nicht behaupten, dass es mein absolutes Lieblingsstück wäre. Mein Lieblingsstück ist immer dasjenige, mit dem ich mich gerade intensiv beschäftige. Das heißt, meine musikalischen Vorlieben wechseln.

Mein Lieblingsstück ist immer dasjenige, mit dem ich mich gerade intensiv beschäftige.
Lorenzo Viotti
Bildunterschruft:

Zsolt Horpácsy: Worin liegt für dich die Faszination dieses »Drame lyrique«?

Lorenzo Viotti: Das Wichtigste ist vielleicht, dass hier jedes Wort mit jeder Note verbunden ist. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen dem Orchesterklang und den Gesangspartien: Diese Musik vermittelt in all ihren Facetten das Gefühl einer organischen Einheit.

Zsolt Horpácsy: Wie an anderen Repertoirestücken haften auch an Massenets Oper bestimmte Klischees. Nicht selten fallen im Zusammenhang mit ihr Begriffe wie Sentimentalität, Larmoyanz, Rührseligkeit? Welche Vorstellung hast du von diesem intimen, aufwühlenden Musikdrama und seiner Interpretation?

Lorenzo Viotti: Die Klischeevorstellungen lassen mich unberührt. Ich sehe in Massensets Werk ein spannendes Drama, durch das wir in die Tiefe der menschlichen Seele blicken können. Die Fragen, die dieses Werk anspricht, sind von großer Aktualität. Wie gehen wir mit dem Thema Freitod um? Oder wie können wir denjenigen helfen, die gefährdet sind? Nicht weniger aktuell und facettenreich sind die zwischenmenschlichen Beziehungen: Wie liebt eine junge Frau (Charlotte), die für ihre Familie die Rolle der verstorbenen Mutter und damit auch deren gesellschaftliche Verpflichtungen übernehmen muss? Es gibt in diesem Stück viele Fragen, die sich nicht nur in Zusammenhang von Charlotte und Werther sondern auch rund um die Beziehungen zwischen Sophie und Albert oder Werther und Sophie stellen. Ein sehr komplexes, spannendes Netz von verschiedenen »Wahlverwandtschaften« und Möglichkeiten. Es geht um großes menschliches Drama. Für die Sängerinnen und Sänger bedeutet es eine besondere Herausforderung, weil es hier um eine großartige Form von musikalischen Konversationen, im Grunde genommen um ein Schauspiel mit Musik geht. Und der Titelheld? Eine schöne Traurigkeit umwebt ihn: Er kann seine Ruhe, sein Glück nur im Tod finden.

Ich sehe in Massensets Werk ein spannendes Drama, durch das wir in die Tiefe der menschlichen Seele blicken können.
Lorenzo Viotti

Zsolt Horpácsy: Zwischen den Proben bleibt dir nicht viel Freizeit übrig. Und dennoch: Wie verbringst du deine freien Stunden in Frankfurt?

Lorenzo Viotti: Neben Sport und Kochen, meine Lieblingsbeschäftigungen, habe ich vor wenigen Tagen meinen ersten Portugiesisch-Unterricht gehabt.

Zsolt Horpácsy: Warum ausgerechnet Portugiesisch?

Lorenzo Viotti: Ab der Spielzeit 2018/19 werde ich Chefdirigent des Gulbenkian-Orchesters in Lissabon. Ich würde gerne meine Musiker auch sprachlich richtig verstehen und später vielleicht die Proben in ihrer Muttersprache leiten können.

SZENENFOTOS Barbara Aumüller

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Veröffentlicht am

15.12.2017

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