Mit einer Stimme, die immer noch berührt, hat sich Clarry Bartha seit über 40 Jahren ihren ganz eigenen Platz in der Welt der Oper erobert. Wir schildern die lange Reise der schwedischen Sopranistin, auf der die Oper Frankfurt eine wichtige Rolle spielte und aktuell wieder spielt.
Vor 35 Jahren hat sie zum ersten Mal auf der Bühne der Oper Frankfurt gestanden – im Februar 2023 kehrte sie zurück: Die schwedische Sopranistin Clarry Bartha übernahm in der Wiederaufnahme der Oper Der ferne Klang von Franz Schreker eine Rolle, die der Komponist als »Ein altes Weib« bezeichnet. Daneben treten auch Figuren wie »Ein zweifelhaftes Individuum« oder »Ein Schmierenschauspieler« auf … keine sehr schmeichelhaften Benennungen! Doch das »alte Weib« spielt im 1. Akt eine wichtige Rolle; hält sie doch Grete, die von Fritz sitzen gelassen wurde, um dem geheimnisvollen »fernen Klang« nachzujagen, vom Selbstmord ab.
Parallel zu ihren Auftritten in Der ferne Klang unterrichtete Clarry Bartha am Opernstudio – und ist dafür im Mai 2023 nochmals in Frankfurt. Im Rahmen von Meisterkursen gibt sie ihren immensen Erfahrungsschatz und ihr Wissen an die jungen Sänger*innen weiter. Wie verlief ihr eigener Lebensweg?
Clarry Bartha: »Geboren wurde ich 1956 in der Stadt Västerås. Das liegt ungefähr 110 km nordwestlich von Stockholm. Schon mit 16 ging ich nach Italien und absolvierte in Rom ein Musikgymnasium, bevor ich zum Studium an der berühmten Accademia di Santa Cecilia zugelassen wurde. Gewohnt habe ich in einem Nonnenkloster. Nach Diplom und Master setzte ich die Ausbildung in London bei Vera Rosza fort; dort traf ich meine Freundin Anne Sofie von Otter wieder.«
Das Schreckensjahr 1987
1981 debütierte Clarry Bartha als Donna Anna im wunderschönen, originalgetreu erhaltenen Barocktheater von Drottningholm. Danach folgte eine Reihe von Gastengagements, u.a. am Theater Basel, dem sie über Jahre verbunden blieb. 1987 holte Gary Bertini sie nach Frankfurt. Hier war sie sieben Jahre lang Ensemblemitglied. »1987, das war das Schreckensjahr der Frankfurter Oper. Nach einer Vorstellung Così fan tutte rief mich eine Kollegin an und sagte: Das Opernhaus brennt! Ich dachte erst, es sei ein Scherz. Das Theater wurde durch den Brand schwer beschädigt; jahrelang mussten wir in Ausweichspielstätten spielen!«
Doch für Clarry Bartha war es eine glückliche Zeit. Nachdem sie zunächst lyrischere Partien wie Fiordiligi, Desdemona, Rusalka und Tatjana gesungen hatte, schaffte sie den Sprung ins lyrisch-dramatische Fach: Die Elsa ebnete den Weg zu Wagner und Strauss, zu Janáček (neben Katja Kabanowa später auch die Kabanicha in derselben Oper) und Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk. Parallel gastierte sie auf vielen der bedeutenden Bühnen der Welt: Berlin, Brüssel, London, Mailand, Rom, Paris, Stockholm, Zürich…
Glücklich war die Zeit in Frankfurt auch aus privaten Gründen: »Hier bin ich meinem Ehemann Reiner Schmidt begegnet. Er war Solobratschist im Opern- und Museumsorchester. Bei den Proben zu einer gemeinsam bestrittenen Kammermusikmatinee kamen wir uns näher.« Noch während ihres Festengagements wurde Sohn Florian geboren, der heute ein gefragter Cellist ist. Später folgte noch Tochter Arabella. Ihr Mann wurde als Professor zunächst nach Würzburg berufen, später als Gastprofessor nach Rom und schließlich nach Sydney. »Wer weiß? Vielleicht spielen heute noch einige seiner ehemaligen Studierenden im Frankfurter Opernorchester!«
Die Förderung des Nachwuchses
Im Main-Tauber-Kreis baute sie zusammen mit ihrem Mann den Förderkreis Bronnbacher Klassik auf, der im ehemaligen Zisterzienserkloster in Bronnbach Konzertreihen wie den Bronnbacher Musikfrühling und Meister von Morgen veranstaltet. Nach dem Tod von Reiner Schmidt 2011 führte Clarry Bartha diese Tätigkeit fort. »Daneben war mir die Förderung des Nachwuchses immer ein Anliegen. Also ließ ich mich 2016 dazu überreden, die Leitung des Gesangswettbewerbs DEBUT im nahegelegenen Weikersheim zu übernehmen.« Der internationale Operngesangswettbewerb gilt mittlerweile als vielbeachtetes Sprungbrett für junge Sängerinnen und Sänger; manche der Preisträger*innen – wie die schwedische Sopranistin Karolina Bengtsson oder der kasachische Tenor Kudaibergen Abildin – haben den Weg an die Oper Frankfurt gefunden.
2022 gehörte der Jury erstmals auch der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe an. Als eines der Wettbewerbsstücke standen verpflichtend zwei Ausschnitte aus der Dante-Oper Inferno von Lucia Ronchetti, uraufgeführt 2021 im Bockenheimer Depot, auf dem Programm. Clarry Bartha: »Die angehenden Sänger*innen sollen nicht nur das gängige Repertoire bewältigen, sondern sich auch in der zeitgenössischen Musik bewähren. Eine große Bandbreite ist heute unabdingbar im Musiktheater.«
Bei Meisterkursen mit Mitgliedern unseres Opernstudios betont sie ihren Schützlingen gegenüber zwei Dinge ganz besonders: »In diesem wunderbaren Beruf, der höchste Anforderungen stellt, sollte man stets hungrig danach sein, etwas Neues kennenzulernen; und man sollte sich eine gewisse Demut bewahren gegenüber den Aufgaben. Wenn es nicht für die ganz große Karriere reicht, muss man auch das akzeptieren können.«
Die Bühne ruft
Zwischenzeitlich war die schwedische Künstlerin auch als Cast-Direktorin tätig: von 2020 bis 2021 beim renommierten Puccini Festival in Torre del Lago. Auch dort konnte sie sich parallel um den Nachwuchs kümmern, indem sie zugleich die Koordination mit der Accademia di Alto perfezionamento für angehende Sänger*innen übernahm. Die 1995 gegründete Akademie ist dem Festival angeschlossen und bietet für die ausgewählten, jungen Talente eine Reihe von Meisterkursen mit prominenten Künstler*innen an; 2021 war darunter auch Renata Scotto.
Mit ihrer eigenen Karriere als Sängerin hatte Clarry Bartha eigentlich schon abgeschlossen. Ein kurzes Gastspiel als Adelaide in Christof Loys Frankfurter Arabella-Inszenierung liegt schon wieder einige Jahre zurück. Da kam Elisabeth Sobotka auf sie zu und bot ihr bei den Bregenzer Festspielen 2022 eine Rolle in Umberto Giordanos selten gespielter Oper Siberia an. Musikalische Leitung: Valentin Uryupin, Regie: Vasily Barkhatov, Bühnenbild: Christian Schmidt – also dasselbe Leitungsteam, das im Dezember 2022 an der Oper Frankfurt Tschaikowskis Oper Die Zauberin so erfolgreich auf die Bühne gebracht hat! An der Seite von Ambur Braid übernahm Clarry Bartha in Siberia die Rolle einer »alten Frau«; derzeit ist diese Produktion an der Oper Bonn zu erleben (bis 9. Juni 2023).
Clarry Bartha: »Die Stimmbänder verändern sich mit der Zeit, wie alles andere am Körper auch. Aber das bedeutet nicht, dass man nicht mehr singen kann. Die Tessitura ist anders, die Stimmlage ist tiefer; aber wenn man über eine gute Technik verfügt, kann man sich ganz neue Rollen erobern. Da gibt es viel zu entdecken.« Wir wünschen der sympathischen Sängerin noch viele Auftritte!
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Text: Konrad Kuhn
Redaktion: Anne-Marie Antwerpen
Szenenfoto Der ferne Klang: Barbara Aumüller
Fotos Abschlusskonzert Meisterkurs: Anne-Marie Antwerpen
17. Mai 2023