Author Archives: Markus Dreesen

»DER MIETER« – EIN GESPRÄCH ZWISCHEN KOMPONIST, LIBRETTIST & DRAMATURG

Ein Gespräch zwischen dem Dramaturgen Zsolt Horpácsy, Arnulf Herrmann und dem Librettisten Händl Klaus gibt Einblicke in die Phasen der zweijährigen Entstehung von Der Mieter.

Zsolt Horpácsy: Deine bereits aufgeführten Libretti sind für Komponisten wie Beat Furrer, Georg Friedrich Haas, Heinz Holliger, Klaus Lang und Hèctor Parra entstanden. Wie gestaltete sich nun die Arbeit diesmal mit Arnulf Herrmann?

Händl Klaus: Den gemeinsamen Urknall gab es vor einigen Jahren in Ligerz am Bielersee, wo Titus Engel und Viktor Schoner im Rahmen eines Symposiums Komponisten mit Schriftstellern zusammenbrachten. Da begegnete ich erstmals Arnulfs Musik – ich war ins Mark getroffen! Da auch Arnulf gefiel, wie ich schreibe, wollten wir uns gemeinsam an etwas wagen. Der Mieter war sein Vorschlag. Ich kannte und liebe den Film von Polanski, hatte aber den Roman nicht gelesen. Roland Topor war mir von seinen Theaterstücken und seinem Marquis-de-Sade-Film her vertraut, aber das Buch war nun eine echte Entdeckung. Es ist eine furchtbare Innenwelt und eine noch furchtbarere Welt, die Topor mit wenigen Strichen eigentlich nur immer anreißt, und doch entsteht ein Sog, der mich die Orientierung verlieren lässt, denn als Leser bin ich sowohl der Mieter als auch das Haus, das ihn verschlingen will. Es war dann Arnulf, der die Grundstruktur des Librettos ersann, der ich folgte, und es war stärker als sonst ein beinahe gemeinsames Schreiben – bis hin zum Läutern der Drei Gesänge am offenen Fenster aus einer wahren Textflut, die von vornherein als Teil der Oper konzipiert waren und bereits 2014 uraufgeführt wurden. Mit diesen Drei Gesängen steht Johanna, die Vorgängerin des Mieters, vor ihrem Sprung in den Tod; es ging darum, ihre Sprache zu finden, brüchig und luftig – und dann die des Mieters, Georgs, der sich zusehends abhanden kommt – um sich in Johanna zu verwandeln. Danach komponierte Arnulf vom Ende her, das heißt, ich kannte schon die Musik des hinteren Drittels der Oper, bevor ich am zweiten und schließlich ersten Drittel schrieb; daraus konnte ich regelrecht schöpfen. Das war eine neue Erfahrung für mich. Und es war aufregend, mit Arnulf an der Sprache zu arbeiten; ich ahnte, wonach er suchte, und suchte selbst, und aus diesen vielen, vielen Seiten hob er das Brauchbare.

Das Frankfurter Publikum (und das der Münchener Biennale) hatte 2012 die Möglichkeit, das Musiktheater Wasser kennenzulernen. Eine Komposition, deren Klangkonzept häufig mit Mikrotönen (mit Intervallen, die kleiner sind als ein temperierter Halbton) arbeitet. Welche kompositorischen Mittel hast du für deine Mieter-Welt gefunden? Sind die beiden Werke Wasser und Der Mieter miteinander verwandt?

Arnulf Herrmann: Ob bzw. welche Verwandtschaft es zwischen Wasser und Der Mieter gibt, habe ich mich während der Arbeit auch schon gefragt. Wenn ich es inhaltlich auf eine kurze Formel bringen sollte, so würde ich sagen, dass sich Wasser vor allem aus der Innenwelt des Protagonisten gespeist hat und Der Mieter nun mehr die Konflikte und das Verhältnis zur Außenwelt thematisiert. Beiden Stücken ist gemeinsam, dass sie nach vielen Enden offene Gebilde darstellen, d.h. dass sie sich wie in einem Schwebezustand einer Eindeutigkeit entziehen. Das ist so etwas wie ein roter Faden, der aber auch meiner Wahrnehmung von Welt entspricht. Es geht um eine Vielschichtigkeit, die es aufzuspüren gilt, also so ziemlich das Gegenteil von Beliebigkeit. Die kompositorischen Mittel lassen sich nicht in zwei Sätzen zusammenfassen. Im Mieter gibt es eine Reihe von musikalischen Kernelementen: das Klopfen der Nachbarn, das Geräusch langsam zerbrechenden Glases, natürlich musikalische Ideen, die Mikrotonalität etc. Allen Elementen ist gemeinsam, dass sie nicht abstrakt von außen gesetzt sind, sondern sich unmittelbar aus der Dramaturgie der Handlung entwickeln. Zudem gibt es Liveelektronik, d.h. ein Teil der Klänge wird von den Sängern und dem Chor im jeweiligen Augenblick ausgelöst und in den ganzen Bühnen- und Zuschauerraum projiziert, in dem überall Lautsprecher verteilt sind.

Euer erstes gemeinsames Werk entsteht nach Motiven des Romans von Roland Topor und des Films von Roman Polanski. Wie bist du ausgerechnet auf diesen Stoff gestoßen? Wie entwickelte er sich zu einer Oper?

Arnulf Herrmann: Den Film von Polanski kenne und liebe ich natürlich, der Ausgangspunkt für die Oper war aber erst einmal ausschließlich der Roman von Topor. Ich bin eines Tages auf das Buch gestoßen und war sofort elektrisiert, da Topor Klänge bzw. die Beschreibung von Geräuschen ganz zentral für die Entwicklung der Geschichte verwendet. Dem Protagonisten wird ja die ganze Zeit vorgehalten, er sei zu laut. Auf dieser Grundlage habe ich eine eigene Szenenfolge für die Oper entwickelt, die diese Aspekte betont. Das war ein Prozess, der sich – parallel zu anderen Projekten – über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren hinzog und der die Vorlage immer mehr entschlackt und auf einige wenige Kernszenen reduziert hat. Das Endergebnis ist etwas, das zwar auf Motiven des Romans basiert, aber ansonsten ganz den Notwendigkeiten einer Umsetzung auf der Opernbühne verpflichtet ist. Die Entwicklung der Szenenfolge geschah durchgehend aus den drei verschiedenen Perspektiven Handlung, Musik und ihrer szenischen Darstellung. In jeder einzelnen Szene war es mein Ziel, dass sich diese drei Aspekte untrennbar miteinander entwickeln und verzahnen.

Gibt es einen musikalischen oder szenischen Punkt, von dem ihr gestartet seid?

Arnulf Herrmann: Ich benötige meist mehr als einen Ausgangspunkt, um zu beginnen. Ich habe am Anfang – parallel zur Entwicklung der Szenenfolge – viele Materialien gesammelt, bestimmte Leitgedanken, szenische Ideen etc., von denen dann einige übrig geblieben sind, da sie sich als besonders tragfähig erwiesen haben. Gleichzeitig gab es die Handlung und erste konkrete musikalische Einfälle. Dann erfolgte etwas, das ich selbst immer wieder als ein Sich-Vernetzen, -Verzahnen und Wuchern der verschiedenen Ausgangsgedanken erlebe, bis hin zu dem Punkt, an dem ich das Gefühl habe, mit einer bestimmten Szene beginnen zu können. Das war im Falle des Mieters eine Szene im hinteren Drittel der Oper, in der viele Elemente der gesamten Oper versammelt sind. Von dort aus ging es sternförmig in viele verschiedene Richtungen. Ich habe den Mieter also nicht chronologisch von vorne nach hinten geschrieben. Außerdem gab es im Herbst 2014 schon eine Aufführung meiner Drei Gesänge mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Gab es eine grundlegende Veränderung des Stoffes?

Arnulf Herrmann: Einen Roman als Vorlage respektive Ausgangspunkt für die Bühne zu benutzen bedeutet ja zwangsläufig, ihn in eine ganz andere Form zu übersetzen. So verwendet die Bühnenhandlung nur einen Bruchteil der Szenen im Roman und diese dann auch entsprechend abgewandelt; einige Motive und Szenen wurden auch gänzlich neu eingeführt. Das Libretto von Händl Klaus basiert ebenfalls nur inhaltlich auf den Szenen des Romans und verwendet kein einziges Wort der Buchvorlage. Eine der ersten Handlungen gleich zu Beginn unserer Arbeit war zudem, die Namen der Figuren des Buches zu verändern. Wir mussten uns lösen und die Figuren zu unseren eigenen Charakteren umgestalten.

Der 1964 erschienene Roman und Polanskis Film von 1976 haben thematisch nichts an ihrer Aktualität verloren. Welche Motive und Impulse waren für euch die wichtigsten Quellen?

Arnulf Herrmann: Das Buch beschreibt ja einen faszinierenden und nicht ganz eindeutigen Prozess. Es herrscht Wohnungsnot und ein Mann findet in dieser angespannten und von Abhängigkeit geprägten Situation ein Zimmer. Die Vormieterin hat Selbstmord begangen, indem sie sich aus dem Fenster gestürzt hat. Dort lebt er nun und verliert zunehmend den Bezug zur Außenwelt und schließlich zu sich selbst, da er das Gefühl hat, dass die anderen Bewohner des Hauses allmählich in sein Leben eingreifen und beginnen, ihm Vorschriften zu machen. Über allem schwebt die für ihn ganz existenzielle Drohung, die Wohnung wieder zu verlieren, wenn er sich nicht einfügt. Wie er sich unter diesem äußeren Druck allmählich beginnt anzupassen, bis hin zu dem Punkt, an dem er seine eigene Identität verleugnet und sukzessiv die Identität der Vormieterin annimmt, hat etwas in hohem Maße Gespenstisches und gleichzeitig Aktuelles. Es ist auch nicht ganz klar, ob dieser äußere Druck real ist, oder ob er ihn in vorauseilendem Gehorsam nur so empfindet. Für ihn und seine Wahrnehmung macht das letztlich aber auch keinen Unterschied.

Der Regisseur Johannes Erath war an der Entstehung dieser Oper intensiv beteiligt. In welcher Form habt ihr zusammengearbeitet?

Arnulf Herrmann: Klaus und ich waren mit der Entwicklung einzelner Szenen beschäftigt und sobald ich wieder neue Szenen komponiert hatte, haben wir uns mit Johannes Erath und unserem Bühnenbildner Kaspar Glarner zusammengesetzt. In diesen Gesprächen kamen dann zumeist gleich erste Ideen zur szenischen Umsetzung auf den Tisch. Die Partitur wurde somit direkt vom Schreibtisch auf die Bühne gehoben. Diese Konkretisierung wirkt dann natürlich auch auf die eigene Arbeit zurück. Der Denkraum, in dem man sich bewegt, wird noch einmal größer.

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Das Interview führte Zsolt Horpácsy. Der Mieter wird am 12. November 2017 uraufgeführt.

6. November 2017

NEU IM ENSEMBLE: JULIA DAWSON

Die kanadische Mezzosopranistin Julia Dawson im Porträt: Wenn sie nicht die Königin der Nacht sang, wussten ihre Eltern, dass sie krank war, erzählt Julia Dawson lachend. Die Mezzosopranistin ist in einer musikalischen Familie in Ontario, Kanada aufgewachsen. »Als Kind habe ich viele Bach-Kantaten gehört. Was mich aber vor allem beeindruckt hat, war Die Zauberflöte. Ich war ganz verrückt nach den Arien der Königin der Nacht.« In ihrer Kindheit wurde Julia Dawson zuhause unterrichtet. Mit acht Jahren kamen Musiktheorie, Klavier und Gesang hinzu. Auf die Frage, ob sie schon immer Opernsängerin werden wollte, sagt sie: »Ja und nein. Als ich klein war, wollte ich Sängerin, Präsidentin von Kanada, Ökonomin und und und werden.« Eine Aufnahme von Maria Callas half ihr bei der Entscheidung: »Ich dachte: Wow! Das ist es, was ich machen möchte!«

Die Erinnerung an ihren ersten Opernbesuch ist bruchstückhaft: »Ich weiß nicht mehr, welches Stück gespielt wurde, dafür habe ich den Kinderchor genau vor Augen; und die Bühne, die sich wie hier in Frankfurt drehte.« Während ihrer Highschoolzeit sammelte Julia Dawson erste Erfahrungen im Theater und Musiktheater. So sang sie beispielsweise in Rogers’ und Hammersteins Cinderella und in Guys and Dolls. »Ich war das Hot Box Girl, ohne mit elf Jahren wirklich zu wissen, was ein Hot Box Girl ist.« Ihre allererste Partie hingegen bestand eigentlich aus dreien. »Mein Gesangslehrer in der Schule inszenierte eine Kammerversion von Le nozze di Figaro. Dabei verkörperte ich die Gräfin, Cherubino und Susanna. Kostümwechsel fanden auf der Bühne statt, sodass ich von einer Rolle in die nächste schlüpfen konnte.«

Julia Dawson studierte schließlich am Oberlin Conservatory, an der Sheperd School of Music in Houston und an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia. Während dieser Zeit ging sie nach Italien, um die Sprache zu lernen. Neben Italienisch spricht sie Französisch und lernt seit ihrer Ankunft im Frankfurter Opernstudio vor zwei Jahren fleißig Deutsch.

Als Opernsängerin hat sie ihre Erfüllung gefunden. »Ich denke, es ist eine Art Magie. Es gibt diese Momente auf der Bühne, wenn die Energien der Darsteller und Musiker miteinander verbunden sind und jeder auf den anderen reagiert. Ich bin sicher, das Publikum kann das spüren. Es passiert nicht jeden Tag, aber wir arbeiten für eben diese Momente. Das ist wie eine magische Droge.« Im Verlauf einer Opernproduktion ist sie jedes Mal wieder von der Orchestersitzprobe begeistert. »Es ist das erste Mal, dass alle Sänger mit dem Orchester zusammenkommen, und der Charakter, der in den szenischen Proben entwickelt wurde, auf die Musik trifft.«

Eine Partie, die Julia Dawson besonders am Herzen liegt, ist Sesto in La clemenza di Tito. »Das ist eine sehr heroische Partie mit großer emotionaler Tiefe. Das Accompagnato-Rezitativ am Ende des ersten Aktes ist der Teil, den ich bisher am liebsten gesungen habe.« Oder Emilia in Vivaldis Catone in Utica. »Emilia ist ein sehr finsterer Charakter. Es war das erste Mal in meiner Laufbahn, dass ich in der Lage war, eine Partie mit einem so enormen Stimmumfang zu singen. Ich hoffe, es warten noch mehr Figuren dieses Kalibers auf mich.« Außerdem träumt sie davon, einmal die Titelpartien in Pelleas et Melisande und L’incoronazione di Poppea zu geben. Demnächst steht sie hier als Angelina in La Cenerentola auf der Bühne. Aber wer weiß, vielleicht gehen ihre Träume hier im Ensemble der Oper Frankfurt in Erfüllung.

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Text: Jannike Schulte

8. November 2017

 

JULIA DAWSON AN DER OPER FRANKFURT