Author Archives: Juliane Lehmann

LUST AUF GROSSE BESETZUNG

VIER MUSIKER*INNEN DES FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMSORCHESTERS IM GESPRÄCH ÜBER PROBEN, NEUE MUSIKALISCHE WEGE UND VORFREUDE

 

Das letzte Jahr hat die Musiker*innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters ziemlich gefordert, denn von heute auf morgen konnten sie sich in der Oper nur noch punktuell zu Proben oder gemeinsamem Spiel treffen. Seit ein paar Tagen finden endlich wieder Vorstellungen vor Publikum statt. Die Orchestermusiker*innen Gesine Kalbhenn-Rzepka, Sabine Krams, Johannes Grosso und Steffen Uhrhan berichten hier, wie sie das letzte Jahr erlebt haben.

 

Wie hat sich euer Üben im vergangenen Jahr verändert?

 

Steffen Uhrhan (Schlagzeug) Anfangs hat sich erstmal gar nichts verändert, weil man die Dimension gar nicht abschätzen konnte. Ich hatte durch die fehlenden Proben und Vorstellungen sogar etwas mehr Zeit, mich mit meinen Instrumenten auseinanderzusetzen. Je länger allerdings die Situation andauerte, umso schwieriger wurde es, sich zu motivieren, denn ich brauche ein Ziel, um mein Üben zu fokussieren und auf dieses dann hinzuarbeiten.

Johannes Grosso (Oboe) Die tägliche Arbeit mit meinem Instrument hat sich nicht verändert. Ich muss jeden Tag üben und brauche diesen Kontakt mit der Oboe. Vor allem in der ersten Zeit habe ich am Abend regelmäßig für meine Nachbarn im Flur gespielt. Sie haben es sehr genossen, live Musik zu hören, und es hat wiederum mich gefreut, für ein kleines Publikum zu spielen.

Sabine Krams (Violoncello) Lange Zeit war es ein zwiespältiges Gefühl, in die Oper zu kommen, fast wie ein besonderer Event – nicht täglich mehrmals, und auch nicht mit allen, sondern nur mit wenigen Kolleg*innen auf Abstand zu musizieren. Ich wartete ziemlich ungeduldig auf den Moment, endlich wieder live für unser Publikum spielen zu können – von Mensch zu Mensch.

 Gesine Kalbhenn-Rzepka (Erste Violine) Da der gewohnte Probenalltag weggefallen ist, habe ich wieder Technik und Etüden geübt, an den Grundlagen gefeilt und mir Literatur für Geige solo herausgesucht und erarbeitet. Zum Glück gibt es eine große Auswahl wunderbarer Musik!

 

Konntet ihr neue musikalische Wege beschreiten?

 

Gesine Kalbhenn-Rzepka Ich hatte die Gelegenheit, zwei Kammermusik-Livestreams der Oper Frankfurt mit Kolleg*innen zu gestalten, den ersten im Herbst, Wien um 1900, und den zweiten Anfang März, Fantasia. Während der erste Stream praktisch nur eine Wiedergabe des Konzerts war, war der zweite Stream mit Raumgestaltung, Licht und Kameraführung inszeniert. Ich war zunächst skeptisch, ob das nicht von der Musik ablenken würde, aber es hat das Musikerlebnis sogar intensiviert. Besonders war für mich auch, dass Menschen aus der ganzen Welt dabei sein konnten, die das Konzert sonst nicht hätten erleben können. Ein Stream ist kein Ersatz für ein Livekonzert, aber eine tolle Ergänzung. Im zweiten Stream haben wir Musik aus dem 17. und 20. Jahrhundert einander gegenüber gestellt und sowohl auf historischen bzw. nachgebauten als auch auf modernen Instrumenten gespielt, in zwei verschiedenen Stimmungen. Dieses Spannungsfeld auszuloten und sich mit den verschiedenen Spielweisen auseinanderzusetzen war eine bereichernde Herausforderung und schließlich ein besonderes künstlerisches Erlebnis.

 

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Johannes Grosso Die Zeit hat mir ermöglicht, Repertoirestücke wieder zu studieren, die ich seit meiner Studienzeit nicht mehr gespielt hatte. Man hatte mehr Muße, alles tief und gründlich einzustudieren.

Steffen Uhrhan Ich habe mich etwas intensiver mit Home-Recording bzw. mit diversen Aufnahme-Möglichkeiten auseinandergesetzt und experimentiert.

 

Viele von euch haben den Fokus auf ganz neue Bereiche gelenkt …

 

Sabine Krams In meinem Studienkurs für angehende Cellist*innen habe ich Orchesterspiel vermittelt, mit 24 Cellist*innen Strauss geübt und umso mehr bemerkt, wie sehr mir gerade die große Besetzung eines Orchesters fehlt.

Johannes Grosso Ich habe mein Interesse für die Kochkunst entdeckt. Meine Freundin kocht sehr gerne und sehr gut. Ich habe ihr gern dabei geholfen und viel gelernt. Ich habe mir vorgenommen, mein Schriftdeutsch zu verbessern. Über WhatsApp habe ich mit meiner Mutter, einer ehemaligen Deutschlehrerin, Zeitungsartikel gelesen und dabei ziemlich viele Vokabeln gelernt!

Steffen Uhrhan Ein großer Fokus lag bzw. liegt in dieser Zeit auf meiner Familie. Unsere Tochter war über einen sehr langen Zeitraum nicht in der Kita und Dreh- und Angelpunkt unseres Alltags. Im Orchestervorstand haben wir viel Zeit und Energie aufgebracht, um neue Ideen, Konzepte und Visionen zu entwickeln und umzusetzen. Ich selbst habe mein Laufpensum etwas nach oben geschraubt und als Fernziel die Teilnahme an einem Marathon angepeilt.

Sabine Krams Und wir haben alle erkannt, dass ein Weitergeben eines musikalischen Funkens in der digitalen Welt durchaus auch möglich ist, wenn auch viel schwieriger als im Live-Konzert. Ich habe gelernt, besser mit den digitalen Geräten umzugehen.

Johannes Grosso In der Oboengruppe hatten wir Lust zusammen zu spielen und haben Videos gemacht. Meine Student*innen unterrichte ich über Zoom, das funktioniert zwar sehr gut, ersetzt aber auf keinen Fall den persönlichen Kontakt. 

Gesine Kalbhenn-Rzepka Ich habe es sehr genossen, mehr Zeit für meine Familie zu haben. Zeit zum gemeinsamen Kochen, zum Spielen, für Gespräche und Austausch, für Ausflüge in die nähere Umgebung und natürlich auch, um das Homeschooling meiner Kinder zu begleiten.

 

Seit ein paar Tagen spielen wir endlich wieder. Worauf freut ihr euch?

 

Sabine Krams Auf ein Wiederbeleben dieses einzigartigen Austausches von Menschen, der nicht messbar und beweisbar, aber doch fühlbar ist, darauf freue ich mich besonders. Und natürlich auf unser Publikum, das nach der langen Abstinenz von Zuschauer*innen und Zuhörer*innen ein noch viel intensiveres Erlebnis hervorruft.

Gesine Kalbhenn-Rzepka Ich freue mich drauf, endlich wieder für ein Live-Publikum gemeinsam, ohne Abstände musizieren zu dürfen und Familie und Freund*innen ohne Bedenken treffen zu können!

Steffen Uhrhan Ich freue mich auf den Tag, an dem ich zum ersten Mal abends wieder an einem meiner Instrumente im Graben sitzen darf, bei voller Orchesterstärke, ohne Abstand, ohne Maske, das Haus im besten Fall bis auf den letzten Platz ausverkauft ist und wir alle mit großer Vorfreude dem Beginn der Vorstellung entgegenfiebern. 

Johannes Grosso Ich freue mich darauf, endlich wieder vor ausverkauften Sälen zu spielen und natürlich auch nach dem Konzert mit den Kolleg*innen ein Bierchen in der Kantine zu trinken!

 

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Das Gespräch mit Gesine Kalbhenn-Rzepka, Sabine Krams, Johannes Grosso und Steffen Uhrhan führten Márta Berger und Deborah Einspieler.

Fotos: Barbara Aumüller und Bogdan Michael Kisch 

20. Juni 2021

NEU IM ENSEMBLE: KELSEY LAURITANO

IMMER IN BALANCE

 

Den Wunsch, auf der Bühne zu stehen, verspürte Kelsey Lauritano eigentlich schon immer. Eine Karriere als Opernsängerin konnte sie sich lange Zeit aber nicht vorstellen. Warum die japanisch-amerikanische Mezzosopranistin dennoch im Ensemble der Oper Frankfurt gelandet ist, von wem sie ihr schauspielerisches Talent geerbt hat und was sie in den Monaten des Lockdowns gelernt hat, erfahren Sie im folgenden Porträt. 

 

FRÜHER TRAUM VOM BROADWAY

Während ihrer Schulzeit hatte Kelsey ein klares Ziel vor Augen: Sie wollte Musicaldarstellerin werden. Auf ihrer High School in San Francisco erhielt sie eine intensive Gesangsausbildung und legte Woche für Woche Extraschichten im dortigen Tanzstudio ein. Mit 13 Jahren begann sie, regelmäßig an Castings am New Yorker Broadway teilzunehmen: »Ich bekam dort immer wieder dieselbe Rückmeldung: Ich sei sehr talentiert, aber meine Stimme klinge älter als ich aussehe. Genau das Gegenteil von einer idealen Musicalsängerin.«

Kelsey ließ sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Ihre Familie unterstützte sie dabei: »Meine Mutter erfüllt nicht das Klischee einer strengen asiatischen ›Tiger Mom‹. Sie hat mich nicht verwöhnt, aber stets gefördert und alles daran gesetzt, dass ich mich verwirklichen kann.« Nach der High School bewarb sich Kelsey an der New Yorker Juilliard School  ̶  eines der renommiertesten Konservatorien für klassischen Gesang in den USA. Und zu ihrer großen Überraschung bestand sie auf Anhieb die Aufnahmeprüfung … Im Studium wollte Kelsey die bestmögliche Gesangstechnik erlernen, um später für die großen Rollen am Broadway gewappnet zu sein. Doch es kam anders: Während des zweiten Studienjahrs interpretierte sie Aaron Coplands Liederzyklus Twelve Poems of Emily Dickinson  ̶  ein Schlüsselerlebnis für die Künstlerin: 

 

»In Coplands Zyklus stieß ich auf viele kleine Geschichten, die ich unbedingt erzählen wollte. Mir wurde bewusst, dass man mit Kunstliedern eine sehr kostbare, intime Situation auf der Bühne herstellen kann. Dadurch entdeckte ich plötzlich auch in der Oper ein ungeahntes künstlerisches Potenzial.«

 

 

 

FACETTENREICHE CHARAKTERE

Nach einem Auftritt bei der Internationalen Meistersinger-Akademie in Neumarkt bot Intendant Bernd Loebe der Mezzosopranistin einen Platz im Frankfurter Opernstudio an. Eine Chance, die sich Kelsey nicht entgehen lassen wollte … Von der Wärme des Publikums in Deutschland war die Sängerin sofort begeistert: »Die Zuschauer*innen an den New Yorker Opernhäusern wirkten auf mich eher distanziert und elitär. In Frankfurt hingegen werden wir Künstler*innen bedingungslos unterstützt und geliebt.« Kelsey schätzt die intensive Probenarbeit an der Oper Frankfurt, die es den Darsteller*innen ermöglicht, ihre Rollen genau zu durchdringen und auf der Bühne eine besondere Chemie miteinander zu entwickeln. 

Ihre Leidenschaft für das Schauspiel hat Kelsey möglicherweise von ihrem Ur-Großvater geerbt: Dieser war Anfang des 20. Jahrhunderts von Japan nach Hollywood emigriert, wo er in zahlreichen Schwarz-Weiß-Filmen meist als »chinesischer Bösewicht« zu sehen war. Kelseys Rollenspektrum an der Oper Frankfurt ist weitaus vielfältiger: Allein in der Spielzeit 2020/21 stand sie  ̶  mittlerweile als Ensemblemitglied  ̶  in vier Produktionen auf der Bühne. Darunter auch bei dem Tschaikowski-Abend Nur wer die Sehnsucht kennt, der für sie eine »extreme Herausforderung« darstellte: Erstmals sang sie in russischer Sprache und verkörperte die »bislang düsterste Figur« ihrer Karriere. 

Ein geplanter Auftritt mit ihrer Lieblingspartie Cherubino in Mozarts Le nozze di Figaro musste leider abgesagt werden  ̶  zu Kelseys großem Bedauern, denn »es macht einfach großen Spaß, Cherubino zu spielen! Er ist ein charmanter Junge, der alles durcheinander wirbelt, dabei aber eine verletzliche Seite hat.« Gerade diese Mischung aus Humor und Melancholie schätzt die Sängerin an Opernfiguren besonders: 

 

»Ich verwachse auf der Bühne eng mit meinen Charakteren. Daher können Rollen, die ausschließlich dramatische Zustände durchleben, sehr belastend für mich sein. Wenn ich das Publikum hingegen auch zum Lachen bringen kann, gehe ich nach der Vorstellung mit einem Lächeln aus dem Theater.«

 

 

 

»ALWAYS KEEP GOING«

Die richtige Balance sucht Kelsey auch in ihrem Privatleben. An Frankfurt mag sie die Mischung aus Kultur und Nähe zur Natur, was sie an ihre Heimatstadt San Francisco erinnert. Generell sieht sie sich als einen eher häuslichen Menschen: »Ich liebe es, lange zu schlafen und mich nach anstrengenden Tagen früh ins Bett zu legen.« Auch während des Lockdowns ließ sich Kelsey nicht aus der Ruhe bringen: Sie lernte zu stricken und bereitete sich auf eine Ausbildung zur Yogalehrerin vor  ̶  ihr Plan B, falls die Theater längerfristig geschlossen bleiben sollten. Ob dieser Pragmatismus typisch amerikanisch ist? 

 

»Vielleicht eher typisch für meine Generation: Ich bin sehr ehrgeizig und weiß, wie schwer es ist, mit Kunst seinen Lebensunterhalt zu verdienen  ̶  gerade in wirtschaftlich so turbulenten Zeiten. Ich mache mir keine falschen Illusionen, sondern überlege immer, was der nächste Schritt für mich sein kann. I always keep going.«  

 

Nun rückt die Öffnung der Theater wieder näher und Kelseys Ausbildung zur Yogalehrerin liegt vorerst auf Eis. Für die Zukunft hofft die Mezzosopranistin auf spannende neue Partien: Gerne würde sie öfters in Barockpartien auftreten  ̶  so zum Beispiel als Purcells Dido, deren berühmtes Lamento sie zuletzt bei einer Soiree des Opernstudios präsentierte. Und nachdem sie in den USA bereits mehrfach an Uraufführungen beteiligt war, haben auch zeitgenössische Kompositionen ihre Neugier geweckt: »Mich reizt die Herausforderung, unbekannte Werke zu entdecken und nicht nur das zu singen, was man schon oft gehört hat.«

 

Und die Liebe zum Musical? »Die ist irgendwann erloschen. Ich tue mich zunehmend schwer damit.«

 

Dass in Kelsey aber auch Qualitäten eines Popstars stecken, bewies sie beim Online-Adventskalender der Oper Frankfurt im vergangenen Winter. Begleitet von Mitgliedern des Frankfurter Ensembles sowie des Opern- und Museumsorchesters sang sie Julie Golds From a Distance ein. »Ich war überrascht, wie viele positive Rückmeldungen wir für das Video bekommen haben. Es wurde zu einem kleinen Social-Media-Hit.« Aber trotz dieses Erfolges im digitalen Raum zieht es Kelsey nun wieder zurück auf die große Bühne im Opernhaus!

 

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Text: Maximilian Enderle

30. Mai 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INTERVIEW MIT BERND LOEBE UND SEBASTIAN WEIGLE ZUR NEUEN SPIELZEIT 2021/22

Im Gespräch mit Mareike Wink sprechen Intendant Bernd Loebe und Generalmusikdirektor Sebastian Weigle über aktuelle Herausforderungen, Lichtblicke und die Vorfreude auf die Spielzeit 2021/22. 

Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf die neue Spielzeit?

Bernd Loebe: Mit sehr gemischten Gefühlen. Vor allem aber mit der großen Hoffnung, dass wir bis zum Saisonbeginn 2021/22 einen Weg finden, wieder Oper zu machen – so wie wir es geplant haben. Ich hoffe natürlich auch, dass von den Abonnent*innen, die wir in dieser Spielzeit verloren haben, wieder einige zurückkehren.

Sebastian Weigle: Ich empfinde Traurigkeit und Verärgerung, dass wir trotz hervorragender Hygienekonzepte nicht spielen dürfen. Mit Blick auf die neue Spielzeit überwiegt aber auch bei mir die Hoffnung, dass es wieder losgeht!

 

Lassen Sie uns trotz mancher Ungewissheiten – keiner weiß, wie es nach dem Sommer tatsächlich aussieht – einen Blick auf die geplante Saison 2021/22 werfen. Worauf darf man sich freuen?

Bernd Loebe: Es ist wieder eine Spielzeit mit Raritäten und sogenannten Repertoirewerken gleichermaßen. Opern, die neugierig machen oder vielleicht zu Unrecht vergessen sind. Wir möchten u.a. Cimarosas L’italiana in Londra, Carl Nielsens Maskerade, Rimski-Korsakows Die Nacht vor Weihnachten, einen spannenden Abend mit Werken von Schönberg und Frank Martin, nach 20 Jahren eine neue Madama Butterfly und schließlich Dallapiccolas Ulisse zur Premiere bringen.

Sebastian Weigle: Neben den Premieren kommen wunderbare Produktionen zurück. Ich greife mal die heraus, bei denen ich am Pult stehe: Königskinder, ein Märchen, das zu Herzen geht – in aller Schönheit, aber auch Grausamkeit. Dann die grandiose und immer noch aktuelle Christof Nel-Inszenierung von Die Frau ohne Schatten. Auch auf den Lohengrin freue ich mich sehr. Tatsächlich alles Lieblingsstücke!

Bernd Loebe: Ans Pult kehren u.a. Titus Engel, »Dirigent des Jahres 2020« (Opernwelt), sowie Antonello Manacorda, Künstlerischer Leiter der mehrfach ausgezeichneten Kammerakademie Potsdam, und der derzeitige Mannheimer Generalmusikdirektor Alexander Soddy zurück. Auch die junge litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė wird im Orchestergraben stehen. Bei den Inszenierenden haben wir es ebenfalls mit einer Mischung aus etablierten Namen und neuen Gesichtern zu tun – darunter der New Yorker Regisseur R.B. Schlather, der 2019 mit Tamerlano im Bockenheimer Depot ein tolles Debüt hingelegt hat, und Tobias Kratzer, der seit seiner Arbeit in Bayreuth von den Theatern geradezu gejagt wird, sowie Christof Loy und David Hermann. Mit Mateja Koležnik, die bisher eher im Schauspielbereich inszeniert hat, und Tatjana Gürbaca debütieren zwei interessante Regisseurinnen an der Oper Frankfurt. Neben der Händel-Rarität Amadigi, wofür der Regisseur Andrea Bernard erstmals bei uns arbeitet, wird es im Bockenheimer Depot eine Uraufführung geben, in der wir uns mit der Digitalisierung und ihren Risiken beschäftigen: The People Out There von Hauke Berheide und Amy Stebbins. Für die Weiterführung unseres Britten-Zyklus mit dem vielleicht bekanntesten Werk des Komponisten – A Midsummer Night’s Dream – kehrt Brigitte Fassbaender nach Frankfurt zurück.

 

Über ein Jahr Ausnahmesituation. Welche besonderen Herausforderungen hat es an Sie beide gestellt?

Sebastian Weigle: Geduld aufzubringen und nicht aufzugeben! Und das bei der zusätzlichen Zeit, die man in diesen Monaten hat … Unser Orchester so gut wie nicht zu sehen, in der Regel nur telefonischen Kontakt zu den Kolleg*innen zu haben, das war und ist eine sehr spezielle Erfahrung. Man entfremdet sich schon etwas über Wochen und Monate. Dabei ist das Kontakthalten, gerade das musikalische, so wichtig, die kurzen Konversationen in den Probenpausen, das persönliche Gespräch. Umso dankbarer war ich für die Chance zum Stream von Gustav Mahlers Lied von der Erde im März 2021 mit immerhin 30 Musiker*innen. Das war eine unglaubliche Wiedersehensfreude und immense Motivation. Für mich selbst war es zusätzlich emotional, weil die Aufzeichnung rund um meinen 60. Geburtstag stattfand. Mit Strauss’ Metamorphosen und Mozarts Gran Partita folgten weitere digitale Produktionen. Und dennoch – das Digitale ist kein Ersatz für das Live-Erlebnis. Über 1000 Menschen an einem Abend hinter sich zu wissen und als Mittler zwischen Bühne und Parkett eine konzentrierte Spannung zu erreichen, ist faszinierend und unbeschreiblich. Als Dirigent spürt man das Publikum sehr konkret als Rückenstärkung.

Bernd Loebe: Wir müssen trotz der immensen Stolpersteine signalisieren, dass wir noch da sind – auch mit digitalen Programmen. Während die Hygienemaßnahmen im Haus an allen Stellen gewissenhaft umgesetzt wurden, galt und gilt es, den Mitarbeiter*innen hinter der Bühne, im Orchestergraben, in den Proberäumen und Werkstätten wie dem Publikum, als es kommen durfte, das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Es gibt in dieser Ausnahmesituation viele Stimmen und Entscheidungsträger. Sämtliche Anliegen unter einen Hut zu bringen, ist eine große Schwierigkeit. Dabei ist es mir wichtig, auch Empathie aufzubringen für die, die ihre Kunst im Moment nicht zeigen können: für die freien Künstler*innen. Und auch wenn es mir als Intendant selbst wichtig ist, positiv und hoffnungsvoll voranzugehen, ist mir das vielleicht nicht an jedem Tag im vergangenen Jahr gelungen.

 

Gab es auch Lichtblicke in dieser Zeit?

Bernd Loebe: Die wenigen, meist ausverkauften Vorstellungen vor reduziertem Publikum waren beglückend. Das analoge Geschichtenerzählen lässt sich nicht vollends durch die Verlagerung ins Digitale ersetzen. Das kluge Verzahnen von beidem ist wichtig. Aber mein Herz schlägt für das von Händen gemachte und vor Ort erlebte Theater – einmalig und unwiederholbar. Auch das funktionierende Miteinander im Haus ist ein Lichtblick: Die Städtischen Bühnen, die über 1200 Menschen, die hier beschäftigt sind, bleiben trotz dieser Krise eine Mannschaft, eine Familie. Man freut sich über jeden Brief und über jede Bekundung, als Oper Frankfurt vermisst zu werden.

 

Was fehlt Ihnen persönlich gerade am meisten?

Bernd Loebe und Sebastian Weigle: Restaurants!

Sebastian Weigle: (lacht) Wir sind beide große Freunde und Unterstützer der Frankfurter Gastronomie. Am Abend mit Freund*innen zusammenzusitzen bei einem guten Essen, einem Glas Wein, oder auch einfach mal abzuschalten, während man etwas Kulinarisches genießt – das vermisse ich unendlich! Direkt an zweiter Stelle nach dem Theater, der gemeinsamen Musik und dem Kontakt zum Publikum.

Bernd Loebe: Es gehört für mich auch zum Theateralltag dazu, sich nach Vorstellungen oder Proben mit den Kolleg*innen an einem gemeinsamen Tisch auszutauschen, Schwierigkeiten zu besprechen, vielleicht kritische Punkte anzumerken. Was ich ebenfalls sehr vermisse, sind Kurzreisen übers Wochenende, einfach, um für einen Moment mal raus zu sein, frische Luft zu schnuppern.

 

Corona, Neubau-Diskussion … Andere hätten vielleicht zweimal überlegt, ob sie einen Vertrag für weitere fünf Jahre – bis 2028 – unterschreiben. Sie nicht …

Bernd Loebe: Ich bin nach wie vor neugierig auf Menschen, Opern, künstlerische Konzepte. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, die Leute um mich herum warten darauf, dass ich den Hut nehme, wäre meine Entscheidung sicher anders ausgefallen. Ich hänge an der Stadt, bin hier geboren, habe hier meine ersten Opern gesehen, von außen die ganz schwierigen Situationen des Hauses miterlebt. Ich möchte alles daran setzen, dass die Oper Frankfurt zumindest in der Zeit meiner Intendanz keine solchen Tiefen mehr erleben muss.

 

Was wünschen Sie unserem Opernhaus für die Zukunft?

Bernd Loebe: Wir müssen einerseits selbst daran arbeiten, weiterhin unser künstlerisches Niveau zu halten, andererseits brauchen wir dazu Partner in der Stadt, die die Corona-Situation nicht ausnutzen, um etwa finanziell unmögliche neue Stellschrauben anzuziehen. Oper ist keine elitäre Hochkultur für einige wenige, sondern eine Kunstform, die unterschiedliche Menschen über alle Generationen hinweg ansprechen kann. Was man auch in die offene Architektur eines neuen Opernhauses einfließen lassen sollte. Es könnte zu einem Meeting-Point im Herzen Frankfurts werden, zu einem Musiktheater-Ort, in den man hineinsehen, hineinhören kann. Ich hoffe sehr, dass uns die Stadt auch in den nächsten Jahren so unterstützt, dass wir zeigen können, worin wir gut sind – und manchmal vielleicht noch ein kleines bisschen besser als andere.

Sebastian Weigle: Eine solche Transparenz und noch deutlichere Verknüpfung von Stadt und Opernhaus würde nicht nur das Verständnis, sondern auch das Bewusstwerden und die Wertschätzung dessen, was wir tun, steigern. Kultur ist lebensrelevant! Dass es möglich ist, unseren Alltag einfach mal hinter uns zu lassen und Impulse für unseren Austausch zu bekommen – ist das nicht wunderbar? Diesen Raum zu begreifen, zu schätzen und zu schützen, sehe ich als eine ganz wesentliche gesellschaftliche und politische Aufgabe.

Bernd Loebe: Wir sind nur da, weil wir für andere da sind! Jetzt geht es darum, das unsichtbare Band zum Publikum erneut zu spannen.

 

Das Gespräch ist auch in der Saisonvorschau 2021/22 publiziert.

19. Mai 2021

KLANG DER GROSSEN GEFÜHLE AUF ORIGINALINSTRUMENTEN

DIE GEIGERIN BASMA ABDELRAHIM ÜBER DIE WELT DER BAROCKMUSIK

Seit über 20 Jahren ist die Geigerin Basma Abdelrahim mit ihren Kolleg*innen, den Mitgliedern des Horus Ensemble, auf der leidenschaftlichen Suche nach vergessenen Werken des Barock, die sie auf Originalinstrumenten zu neuem Leben erwecken. »Alte Musik, neu entdeckt« könnte ihr Motto heißen, das sie auch in den Barockproduktionen der Oper Frankfurt mit großer Lust vertreten. Basma Abdelrahim, Mitgründerin des Ensembles, erzählt mit Feuer und Flamme über ihre Entdeckungen und die Lust an der historischen Aufführungspraxis. Ein Aufbaustudium führte sie nach Frankfurt, wo sie 1984 ein DAAD-Stipendium erhielt und 1987 ihr Diplom absolvierte. Seitdem ist sie Mitglied des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und gilt als unermüdliche, leidenschaftliche Musikerin mit einem besonderen Faible für die Alte Musik.

Basma Abdelrahim (vorne links) mit ihren Kolleg*innen Ludwig Hampe, Kaamel Salaheldin, Carla Linné, Felice Venanzoni, Daniele Camintini und Karl Kaiser

 

BESONDERHEITEN DER ›BAROCK-SPRACHE‹ 

»Die Gefühlsintensität, die man bei der Kammermusik erfährt, ist einfach unersetzbar. Im Vergleich zum miteinander Musizieren in großen Orchesterbesetzungen bietet die Kammermusik auf Originalinstrumenten eine andere Form von Interaktion im Mikrokosmos. Das gemeinsame Agieren und Reagieren entsteht im kleinsten Kreis und wird bei der Probenarbeit immer neu entwickelt. Ganz besonders gilt dies für die Barockmusik, da sie auf der sogenannten Affektenlehre basiert. So stehen dort Glück, Freude, tiefe Trauer, Angst, Rachsucht oder Liebeskummer ganz eng beieinander. Die Möglichkeit, all diese Gefühle intensiv vermitteln zu können, feuert die Interpret*innen geradezu an. Es lässt einen einfach nie kalt.

Natürlich muss man sich erstmal in die ›Barock-Sprache‹ einarbeiten, was einen Riesenunterschied in der Lesart bedeutet. Es ist vergleichbar mit einer Fremdsprache, die trotz identischer Buchstaben beim Lesen zunächst keinen Sinn ergibt. Im Barock kommen enorme Interpretationsunterschiede dazu, beispielsweise die verschiedenen ›Diktionen‹ der französischen und der italienischen Schulen. Allein in der Kunst der Verzierung, die ein großer Bestandteil der persönlichen Interpretation war, unterscheiden sie sich extrem voneinander. Ein faszinierendes, breitgefächertes Feld lernt man während der Beschäftigung mit diesen Werken kennen.

Die Barockopern bieten weitere vielfältige Möglichkeiten, szenische Effekte mit musikalischen Mitteln zur Geltung zu bringen. Ganz besonders gilt das für die Farbschattierungen der Continuogruppe: Wenn es zum Beispiel um ein Schiff im brausenden Meer geht, sorgt das Cembalo dafür, dass die Gischt des Meeres förmlich im Nacken zu spüren ist. Oder wenn es sich um einen ›dummen Esel‹ handelt, freut man sich, wenn aus dem Cello ein ›I-Ah‹ geschleudert wird! Kuckucks- oder Kanarienlaute werden meistens auf der Blockflöte gespielt, Kriegslaute, aber auch Tanzszenen besonders vom Schlagzeug angefeuert. Diese Musik bietet einen unendlichen Reichtum an freien Interpretationsmöglichkeiten.

 

 

DIE WEICHEN WERDEN GESTELLT 

Meine erste Begegnung mit der faszinierenden Welt der Alten Musik liegt viele Jahrzehnte zurück. Als kleines Mädchen nahmen mich meine Eltern zu einem der zahlreichen Konzerte in unserer Heimat Ägypten mit. Ein Ensemble aus Deutschland führte Renaissance-Musik mit Tanz auf. Leider kann ich mich an den Namen nicht mehr erinnern, aber ich war so begeistert und fasziniert, dass ich schon damals von dieser Art des Musizierens geträumt habe! Diese Begeisterung begleitete mich wie ein roter Faden durch meine Studienzeit: Ich habe alle meine Lehrer*innen ständig mit der Frage genervt, wie wohl die Alte Musik in ihrer Entstehungszeit geklungen haben mochte. Damit erntete ich nicht nur begeisterte Reaktionen.

Meine zweite, entscheidende Begegnung mit der historischen Aufführungspraxis fand in den USA statt. In den Jahren nach dem Opernbrand gab es in Frankfurt zwangsläufig weniger Aufführungen und Konzerte. Zum Glück erhielt ich in dieser Phase ein Stipendium und durfte in Bloomington/Indiana ein halbes Jahr weiterstudieren. Dort war es Pflicht, sich in einem der Hochschulorchester zu engagieren. Ich habe von Anfang an darum gebeten, dies nicht machen zu müssen, da ich schon Mitglied eines professionellen Opernorchesters war. Leider ohne Erfolg. Aber man hat mir immerhin die Wahl zwischen den Bereichen Sinfonie-, Opern- und Barockorchester gelassen. Plötzlich bekam ich große Lust auf die Arbeit in einem Barockorchester, auch wenn ich keine Barockgeige besaß und noch nie in tiefer Stimmung (415Hz) gespielt hatte! ›Kein Problem‹, meinte der Leiter der Barockabteilung. Mir wurde ein Instrument zur Verfügung gestellt und der Unterricht konnte sofort beginnen.

Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Trotz enormer Anfangsschwierigkeiten hatte es einen erfrischenden Effekt. ›Leider‹ habe ich ein absolutes Gehör, was sich zunächst als ein Hindernis darstellte. Doch insgesamt war ich Feuer und Flamme! Ich glaube, es ging vielen Orchestermusiker*innen am Anfang unserer gemeinsamen Reise in die Welt des Barock ähnlich wie mir damals. Aber nach anfänglichem Zögern vieler Kolleg*innen wird unsere Barockcommunity immer größer und vielseitiger. Das macht mich sehr glücklich!

 

TRAUMVERWIRKLICHUNG IM ALLTAG

Zwischen 1993 und 1995 ging mein Traum endlich in Erfüllung. Ich konnte in der Schola Cantorum Basiliensis Barockvioline studieren und pendelte zwischen Frankfurt und Basel. Mit gemischten Gefühlen erinnere ich mich an manche Marathontage: 6.00 Uhr Abfahrt Frankfurt, dann Unterricht auf Barockgeige in Basel, Rückfahrt, schließlich 17.00 Uhr Generalprobe Die Walküre in Frankfurt – selbstverständlich NICHT auf der Barockgeige …

Nach diesen Jahren der Entdeckung der Barockmusik auf historischen (oder historisch orientierten) Instrumenten haben wir das Horus Ensemble gegründet. Seit der Spielzeit 2001/02 widmen wir uns intensiv der Suche nach alten, vergessenen Schätzen dieser Epoche.

Wir ›Horusler‹, stellvertretend für alle Barockinterpret*innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, sind voller Freude und Zuversicht, bald wieder die Nähe unseres geliebten Publikums spüren zu können und die Musik wieder gemeinsam genießen zu dürfen! Schließlich gilt Horus ja auch als Symbol für die ›Wiedergeburt des Guten‹.«

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 Das Gespräch mit Basma Abdelrahim führte Dramaturg Zsolt Horpácsy. Der nächste Barockabend »Pur ti miro!« erwartet Sie ab dem 7. Mai im Stream auf OPER FRANKFURT ZUHAUSE.

2. Mai 2021

 

 

 

EIN GEFÜHL VON FREIHEIT

OLESYA GOLOVNEVA UND MARIUSZ KŁUBCZUK ÜBER DIE PRODUKTION »NUR WER DIE SEHNSUCHT KENNT«

Die Sopranistin Olesya Golovneva und der Solorepetitor Mariusz Kłubczuk haben erstmals 2017 bei Verdis Otello an der Oper Frankfurt zusammengearbeitet. Schon damals hatten sie die Idee, einen gemeinsamen Liederabend zu entwickeln. Nun wirken die beiden in Christof Loys Inszenierung Nur wer die Sehnsucht kennt mit, in der sich 24 Tschaikowski-Lieder zu einer poetischen Narration verbinden.

 

Wie ist eure persönliche Verbindung zu Tschaikowskis Liedkompositionen und was fasziniert euch daran?

Olesya Golovneva: Kurz nachdem ich im Alter von 18 Jahren am St. Petersburger Konservatorium angenommen wurde, stieß ich in der Bibliothek auf Noten von Tschaikowskis Liedern. Ich war sofort verliebt! In seinen Romanzen ist – ähnlich wie in Tschechows oder Andrejews kleinen Geschichten – das ganze Universum der menschlichen Seele enthalten: Schmerz und Leid, aber auch Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht. Ich gebe seit vielen Jahren Konzerte mit Tschaikowskis Liedern und entdecke sie bis heute immer wieder neu.

Mariusz Kłubczuk: Ich bewundere generell die russische Kultur, Sprache und Musik. Tschaikowskis Werke haben daher einen besonderen Platz in meinem Herzen. An seinen Romanzen mag ich ihre unmittelbare, ungefilterte Expressivität. So sehr ich beispielsweise auch Schuberts von Fragen und Zweifeln durchzogene Liedkompositionen schätze, so liegt mir – vielleicht aufgrund meiner slawischen Wurzeln – Tschaikowskis extrovertierte Art doch etwas näher.

Was waren besondere Herausforderungen und Erfahrungen in dieser Produktion?

Olesya Golovneva: Für mich war es ein Novum, Lieder in einem szenischen Kontext aufzuführen. Ich war überrascht, wie groß die emotionale Amplitude meiner Figur in der Inszenierung ist: Sie ist niedergeschlagen und euphorisch, tröstet und sucht Trost, schwebt wie ein Engel über der Erde und gerät in heftige Konflikte mit anderen Figuren … In 100 Minuten durchlebt sie nahezu alle Zustände, die man als Mensch erfahren kann. Durch diese Verdichtung bin ich als Darstellerin extrem gefordert!

Mariusz Kłubczuk: Tschaikowskis Romanzen sind für mich als Pianist sehr anspruchsvoll, da ich an jedes Lied anders herangehen muss. Man spürt, dass er bei der Komposition ein ganzes Orchester mitgedacht hat: Immer wieder lassen sich einzelne Instrumentengruppen wie Celli, Klarinetten oder Flöten aus der Klavierstimme heraushören. Diesen klanglichen Reichtum am Klavier zu transportieren, ist eine große Herausforderung. Abgesehen von zwei kurzen Momenten bin ich an dem Abend durchgehend auf der Bühne. Es verlangt ein hohes Maß an Konzentration, die Spannung über den gesamten Zeitraum und gerade auch in den Pausen zwischen den Liedern aufrechtzuerhalten. Aber erst dadurch fügen sich die einzelnen Stücke zu einem musikalischen Ganzen.  

 

Wie würdet ihr das Zusammenspiel zwischen den fünf Solist*innen und den beiden Liedbegleitern – neben Mariusz Kłubczuk spielt auch Nikolai Petersen – beschreiben?

Mariusz Kłubczuk: Die Bezeichnung »Liedbegleiter« mag ich eigentlich nicht. Ich verstehe mich eher als ein Partner, der dazu beiträgt, dass sich die Solist*innen während des Musizierens möglichst frei und sicher fühlen. Während ich spiele, tauche ich komplett in die Musik ein. Mein Fokus liegt ausschließlich auf den Sänger*innen: Ich versuche auf jede Nuance ihrer musikalischen Interpretation zu reagieren, was je nach Tagesform immer etwas anders ist. Gerade dieses permanente Neujustieren macht das Zusammenspiel für mich so spannend.

Olesya Golovneva: Ich denke auch, dass der Gedanke der Partnerschaft an diesem Abend zentral ist. Zunächst scheinen wir als Sänger*innen exponierter, aber für die musikalische Gestaltung sind Mariusz und Nikolai genauso wichtig. Gerade auch, weil in Tschaikowskis Liedern der Klavierstimme eine so große Bedeutung zukommt: Sie gibt mit den ersten Tönen vor, was in uns Sänger*innen passiert und führt in den Nachspielen musikalisch fort, was wir im Gesang ausdrücken. Ich empfinde das Verhältnis zu den Pianisten daher wie eine Ehe, in der beide Seiten gleichberechtigt sind.

Ihr habt euch auch über die musikalische Interpretation der Lieder mit Regisseur Christof Loy verständigt. Wie hat sich diese durch den szenischen Kontext verändert?

Mariusz Kłubczuk: Der enge und detaillierte Austausch über die musikalische Gestaltung war für mich wirklich interessant: Meine Vorstellungen von den Liedern korrelierten nicht immer mit denjenigen von Christof, der sich im Vorfeld ebenfalls sehr akribisch mit dem Notentext befasst hat. Wir haben viel diskutiert und es gab natürlich auch Konflikte, aber diese Auseinandersetzung war im Hinblick auf das Gesamtergebnis sehr fruchtbar. Wenn konkrete szenische und musikalische Ideen Hand in Hand gehen, ist dies für beide Seiten ein Gewinn. Bei dem Lied Warum op. 6/5 beispielsweise hat der Tenor (Andrea Carè) am Ende einen großen emotionalen Ausbruch und fragt seine Ex-Partnerin (verkörpert von Kelsey Lauritano), warum sie ihn verlassen hat. Christof bat mich, das eigentlich piano notierte Nachspiel fortissimo zu spielen. So konnte ich Andreas Energie aufnehmen und in der Klavierstimme kulminieren lassen.

Olesya Golovneva: In einem reinen Liederabend hätte ich einige Lieder sicherlich in einem anderen Tempo gesungen. Gerade die Tempowahl beeinflusst aber sehr stark den Charakter einer Szene. Und so kamen wir oftmals zu Lösungen, die sich für mich zunächst etwas ungewohnt anfühlten, in der jeweiligen Situation aber stimmig waren.

 

Die Inszenierung kreist um Themen wie Einsamkeit, Isolation und vergangenes Glück. Was hat es für euch bedeutet, diese Produktion in einer Zeit zu entwickeln, die von Vereinzelung und Kontaktbeschränkungen geprägt ist?

Olesya Golovneva: Die Auswirkungen der Pandemie bestimmen natürlich unseren Alltag, weshalb wir diese Gedanken sicher auch unbewusst in die Theaterarbeit mitgenommen haben. Gerade in diesen für die Kunst so schwierigen Zeiten finde ich es wichtig, Formate zu entwickeln, mit denen man sichtbar bleibt. Dafür ist dieser szenische Liederabend ein gutes Beispiel: Mit nur fünf Sänger*innen und zwei Pianisten entstand ein eigener Kosmos, der fast wie eine große Oper anmutet.

Mariusz Kłubczuk: Ich war nach all den Wochen des Lockdowns einfach nur hungrig. Die Möglichkeit, diesen Liederabend mit fünf großartigen Solist*innen zu gestalten, fühlte sich für mich wie ein Weihnachtsgeschenk an. Ich empfand die Arbeit an diesem Projekt als das größtmögliche Gefühl von Freiheit. Umso schöner, dass die Inszenierung aufgezeichnet wurde und somit trotz geschlossener Theater als Stream für das Publikum zugänglich ist!

Die Fragen stellte Maximilian Enderle, der die Produktion als Dramaturg begleitet hat. Der Stream »Nur wer die Sehnsucht kennt« ist noch bis zum 25. Juni online verfügbar.

18. April 2021

HINTER DEN KULISSEN: EIN WERKSTATTBESUCH IN DER MASKENABTEILUNG

GANZ EIGENE KÖPFE

Was wäre ein Theater ohne seine Maskenabteilung und ohne all die tollen, gruseligen und fantastischen Masken in den Gesichtern der Sänger*innen und Schauspieler*innen auf der Bühne? Sie sind wichtiger Bestandteil eines Inszenierungskonzepts und erfordern hohe Kreativität und handwerkliches Können.

 

 

Auch wenn die Städtischen Bühnen derzeit Corona-bedingt geschlossen sind, geht die Arbeit hinter den Kulissen weiter. Der perfekte Zeitpunkt, den Mitarbeiter*innen der Maskenabteilung der Oper Frankfurt über die Schulter zu blicken, die derzeit ganz neue Herausforderungen zu bewältigen haben. Vor allem die Auszubildenden, deren Abschlussprüfung bereits im Mai ansteht, müssen in diesem Jahr so manch eine kreative Hürde nehmen.

Da die Arbeit aufgrund der Infektionslage an menschlichen Modellen momentan nicht erlaubt ist, lernen die Azubis das Schminken und Modellieren an Gipsköpfen. Wie so ein Gipskopf entsteht, welche Vor- und Nachteile er beim Schminken hat und was passiert, wenn bei der Herstellung ein Ohr verloren geht, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

 

GIPSKÖPFE GLEICH SCHMINKKÖPFE

Damit das Schminken und Modellieren am Gipskopf später so naturgetreu wie möglich geübt werden kann, muss zunächst am Menschen ein Silikonabdruck des Gesichts genommen und ein sogenannter Negativabdruck erstellt werden – denn jede Pore, jede Falte oder Warze der menschlichen Haut ist für die realistische Wirkung des Gipskopfes entscheidend. Da derzeit auch die Herstellung von Silikonabdrücken als Grundlage für den Gipskopf schwierig ist, haben sich die Kolleg*innen mit archivierten Abdrücken beholfen. Sie dienen als Vorbilder und werden einfach dupliziert.

 

 

DAS GIPSEN: VON HOHLKÖPFEN UND DOPPELGÄNGERN

Die passgenauen Silikonabdrücke werden von außen durch Gipsschalen in Form gehalten, da das Silikon durch seine bewegliche Beschaffenheit ohne Stützschalung zu instabil ist. Um ein Duplikat anzufertigen, wird – wie man es vom Zahnarzt kennt – flüssiger Dentalgips angerührt und der Silikonabdruck damit ausgegossen. Damit der Gipskopf am Ende nicht zu schwer wird, wird der Abdruck nicht komplett mit Gips ausgefüllt, sondern lediglich ausgeschwenkt, sodass ein innen hohler Kopf entsteht. Bei diesem Verfahren kommt es auf das perfekte Timing an.

Deshalb wird dieser Arbeitsschritt meist von zwei Personen ausgeführt. Während die eine den Gips zu einer perfekten, gießfähigen Konsistenz anrührt und langsam in den Kopf gießt, muss die andere diesen ständig drehen und schwenken, damit der Gips auch in jede Ritze und Pore fließt und sich eine Gipsschicht in den gesamten Innenwänden des Kopfes bildet. Dabei muss die Form gut gerüttelt und geschüttelt werden, damit keine Luftblasen entstehen, die Löcher und Dellen in der Oberfläche des entstehenden Gipskopfes verursachen. Um mehr Wanddicke aufzubauen, wird der dickflüssige Gips per Hand an die Innenseiten gestrichen. Der ganze Prozess kann schon mal eine Dreiviertelstunde bis Stunde dauern und geht dabei ganz schön in die Arme. Nachdem die gewünschte Wanddicke aufgebaut ist, muss der Gips aushärten.

 

 

DAS ÖFFNEN: WENN KÖPFE ROLLEN

Während des Aushärtens wird der Gips ganz heiß und muss erstmal ruhen. Sobald er abgekühlt ist, wird die Negativform aufgemacht. Vorsicht und Geduld stehen dabei an erster Stelle. Zuerst wird die Gipsschalung gelöst, dann der Silikonabdruck. Dabei ist es wichtig, nicht zu schnell und unbedacht zu agieren, sondern sich langsam vorzuarbeiten. Gerade die Ohren sind fragil und brechen beim Entformen leicht ab.

 

 

DER MENSCHLICHE MAKEL: ZEIT FÜR SCHÖNHEITSREPARATUREN

Aber was tun, wenn einem trotz aller Vorsicht ein Stück der Nase abbricht? Oder Löcher durch Luftblasen im Gips die Wange zieren? Solche Makel kann man zum Glück ausbessern. Solange der Gips nicht vollständig ausgehärtet und getrocknet ist, kann mit etwas frisch angerührtem Gips vieles ausgebessert und repariert werden. Kleine entstandene Luftlöcher werden mit dickflüssigem Gips verspachtelt und geschlossen. Ein abgebrochenes Ohrläppchen beispielsweise kann nachträglich ausgebessert werden, indem man mit Gipspaste ein neues Ohrläppchen an die Bruchstelle modelliert. Sollte also beim Öffnen doch etwas schief gelaufen sein, können fehlende Teile nachträglich modelliert und hinzugefügt werden.

Anders als im echten Leben möchte man allerdings nur ausbessern und nichts verbessern – Schönheitsfehler und menschliche Merkmale sollen unbedingt erhalten bleiben. Denn die Gesichter, die die Azubis zukünftig schminken und bearbeiten, sind niemals faltenlos, porenfrei oder symmetrisch. Es gilt also auch hier, so realistisch wie möglich zu arbeiten.

Als letzter Schritt wird der Gipskopf mit Schleifpapier geschliffen, um ungewollte Gipsunebenheiten zu entfernen und dem Kopf ein ansehnliches Aussehen zu verleihen.

 

 

AB IN DEN OFEN 

Sind die Korrekturen vorgenommen und der Gipskopf theoretisch fertig, heißt es für ihn ab in den Ofen. Bei 50 bis 70 Grad Celsius Heißluft wird der Kopf ein bis zwei Tage getrocknet, damit er vollständig aushärtet.

Da der hergestellte Gipskopf für das Schminken gedacht ist, muss er vor dem Schminken noch isoliert werden. Gips ist ein saugfähiges Material und würde die Schminke ohne Isolation aufsaugen und das anschließende Abschminken unmöglich machen. Der Kopf soll aber zu Übungszwecken abschminkbar sein, also wird er mit Bohnerwachs behandelt und poliert. So verliert der Gips nicht seine Oberflächenbeschaffenheit und lässt sich nach Belieben schminken und abschminken.

 

 

BEREIT FÜR DEN GROSSEN AUFTRITT

Und los geht das Schminken! Azubi Romeo Kullmann kann sich nun auf seine Zwischenprüfung vorbereiten. Seine heutige Übungsaufgabe: Die Figur Väterchen Frost! Trotz Gipskopf schminkt Romeo so wie bei einem lebendigen Modell. Denn durch den porengenauen Abdruck und die menschlichen Züge kommt der Gipskopf dem Original sehr nah. Dennoch ist die Arbeit nicht zu vergleichen mit der am Menschen. Die menschliche Haut verhält sich anders unter Schminke als lebloser Gips. Schweiß, Unreinheiten, bewegliche Falten und generell das Empfinden des Modells beeinflussen den Schminkvorgang anders als ein lebloses Modell, das still und stumm alles hinnimmt.

 

 

Eine tolle Arbeit, die sich sehen lassen kann!

Text: Selina Stefaniak

 29. März 2021

NEU IM ENSEMBLE: NICHOLAS BROWNLEE

IN RASANTEM TEMPO RICHTUNG TRAUMPARTIE

Seit Beginn dieser Spielzeit gehört Nicholas Brownlee zum Ensemble der Oper Frankfurt. Bisher konnte er sich hier virtuell in zwei Livestreams präsentieren. Es fällt ihm schwer, seine Ungeduld zu zügeln, endlich auch wieder vor Publikum aufzutreten. Wie er trotzdem das Beste aus der Situation macht und wie es kam, dass er vom Motorsport zur Musik wechselte, schildert das folgende Porträt.

 

VON DER RENNPISTE IN DIE KIRCHE

Dass er das Zeug zum professionellen Rennfahrer besitzt, zeigte Nicholas Brownlee schon in jungen Jahren. Das Schrauben an schnellen Kisten, vor allem aber das Fahren der Wagen begeisterte den Jugendlichen aus Alabama. Im Alter von 13 Jahren steckte ihn sein Vater zum ersten Mal in ein Rennauto, seine Mutter war alles andere als begeistert. »Und meine Eltern steuerten in einen ordentlichen Ehekrach«, erzählt Nicholas augenzwinkernd. Über zehn Jahre lang fuhr er regelmäßig Sport-Rennen und durchkreuzte in der Saison von März bis Mai den gesamten Südosten Amerikas. Samstagnachts ging es oft über Hunderte von Kilometern wieder zurück nach Hause, denn am Sonntagmorgen wollte Nicholas pünktlich in der Kirche sein, um zu singen.

Über die Kirche kam er zur Musik. Hier spielte er Klavier und Orgel, bis die Kirchenchorleiterin ihn irgendwann anstupste, dass er eine gute Stimme hätte. Aber kaum eingetreten, war ihm ein Chor nicht genug und er trat rasch mehreren anderen bei. Bis dahin hatte er keine Opern oder Lieder gehört.

 

PLÖTZLICH BERÜHRT

Nicholas studierte Chorleitung und Dirigieren. Sein Highschool-Professor sorgte dafür, dass er anfing, sich mit seiner eigenen Stimme auseinanderzusetzen. Ein Solo-Album mit Liedern von Bryn Terfel war dabei ein treuer Begleiter.

 

»Stell dir vor, du hast dein ganzes Leben lang ausschließlich Fastfood gegessen und plötzlich setzt dir jemand eine Panna cotta aus der Molekularküche vor. Was machst du? Du probierst es aus.«

 

Also nahm er eine Stelle als Chorsänger an der Opera mobile in Alabama an. Er hatte bereits einige Male in Verdis La traviata mitgewirkt, als er beschloss, sich bei der nächsten Vorstellung die ganze Aufführung anzuschauen. Und Nicholas erlebte einen Schlüsselmoment: »Germont will, dass Violetta seinen Sohn Alfredo verlässt, aber sie liebt ihn doch, warum sollte sie ihn verlassen?« Von der Musik begeistert, realisierte Nicholas, dass da eine Geschichte erzählt wird, die ihn berührte. Diesen Aha-Moment und seinen Enthusiasmus für Oper möchte Nicholas weitergeben und auch andere Menschen begeistern. Nur einen Tag nach besagtem Traviata-Abend wechselte er seine Studienfächer, steuerte nun einen Doppelabschluss in Dirigieren und Gesang an und holte in Windeseile auf. Der angehende Bassbariton setzte auf Gehörbildung und Gesangsstunden, lernte Atemtechnik, vielfältige Lieder sowie Italienisch und Französisch.

In vielen verschiedenen Sprachen zu singen, findet Nicholas fantastisch. Am liebsten singt er im Augenblick aber auf Deutsch: »Es gibt so viel zu entdecken!«, dachte er schon als 25-Jähriger und stürzte sich auf die großen Wagner-Partien wie Holländer, Kurwenal, Jochanaan aus Richard Strauss’ Salome oder Barak aus Die Frau ohne Schatten, sang Kaspar aus Der Freischütz. Und das, obwohl ihm viele in seinem Umfeld signalisierten, lieber noch zu warten, als dieses Fach so früh schon anzusteuern.

 

»Ich bin groß und laut und ein echter Junge!«

 

Zwar wurde Nicholas erst kürzlich in Zürich für seinen Auftritt als Paolo Albiani in Simone Boccanegra gefeiert, dennoch lägen die meisten Verdi-Partien etwas zu hoch oder ein wenig zu tief für seine Stimme. Also übe er sich noch in Geduld, bis er sich reif fühlt für die »echten Schurken«, um dann als Verdis Jago oder Puccinis Scarpia auf der Bühne zu stehen.

Bei Vorsingen und Wettbewerben erlebe er immer wieder, dass nur drei Herren zwischen 35 Sopranen antreten, und oft bekomme er dann den Zuschlag für ein neues Angebot. Das mache ihn sehr dankbar und auch etwas demütig.

Im Übrigen sei er im Moment ziemlich ungeduldig, weil er sich schwer tue, die richtige Work-Home-Balance zu finden, sagt Nicholas. Er liebt es, Dinge mit maximalem Einsatz anzugehen und im Moment fühle er sich wie viele einfach nur ausgebremst. Er sei nicht der Typ, der seine Zehen vorsichtig ins Wasser steckt, um die Temperatur zu checken. Viel lieber springe er direkt ins eiskalte Wasser, um es auszuprobieren. Neben dem Singen kocht er gerne, verbringt ausgiebig Zeit mit seiner kleinen Tochter oder spielt Klavier.

 

HAUPTSACHE SINGEN

Eigentlich wollte er an der Oper Frankfurt im Januar als Jochanaan in Richard Strauss’ Salome debütieren, doch dann kam alles anders. Statt live vor Publikum im Großen Saal aufzutreten, hatte Nicholas seine ersten Auftritte am 8. Januar und zuletzt am 5. Februar gemeinsam mit seinem besten Freund Joshua Guerrero in unserer Livestream-Reihe Bühne frei!:

 

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Er freut sich über die klavierbegleiteten Konzerte in der Oper: »Besser als gar nicht aufzutreten«. Außerdem hat seine Familie in den Vereinigten Staaten so die Chance, live dabei zu sein, wenn er singt. Damit, dass er direkt nach dem ersten Livestream-Auftritt zahlreiche Nachrichten aus der ganzen Welt erhielt, hatte er nicht gerechnet, aber es sei toll, plötzlich auch die fernen Freunde so nah zu spüren.

Apropos Freunde, mit vielen Sänger*innen aus dem Ensemble der Oper Frankfurt wie AJ Glueckert, Anthony Robin Schneider und Cecelia Hall ist Nicholas befreundet und erzählt, dass er hier Tür an Tür mit Gerard Schneider wohnt. Die Mainmetropole mag er, weil sie ihn an eine pulsierende amerikanische Großstadt erinnert. Er liebt die multikulturelle Vielfalt, die kulinarischen Angebote und erzählt begeistert von einem Thai, dem Aroydee, am Eschenheimer Turm, auf den er vor drei Jahren gemeinsam mit seiner Frau aufmerksam geworden war, weil sich davor lange Schlangen gebildet hatten …

Bis es so weit ist, dass wir unser neues Ensemblemitglied live in einer Opernvorstellung erleben können, lernt Nicholas neue Partien. Manchmal kann man ihn im Opernhaus antreffen, wo er am »Baby«-Bösendorfer sitzt und vergisst zu üben, weil er auch so gerne Klavier spielt. Auf alle Fälle freut er sich auf seinen für Juni geplanten Auftritt als Holländer. Und wenn man ihn nach seinem größten Operntraum befragt? Am liebsten würde er irgendwann einmal in der Arena von Verona auftreten! Mit welcher Partie wüsste er zwar noch nicht, »aber es gibt ja noch so viel zu entdecken!«

Text: Deborah Einspieler

14. März 2021

NEU IM OPERNSTUDIO: EKIN SU PAKER

EIN TRAUM WIRD WAHR – IM CORONA-MODUS

 

Die türkische Sopranistin Ekin Su Paker ist seit Beginn dieser Spielzeit Mitglied im Opernstudio der Oper Frankfurt und stand hier erstmals als Barbarina in Mozarts Le nozze di Figaro auf der Bühne. Dass ihr Einstieg unter erschwerten Bedingungen verlief und so manche Planung über den Haufen warf, hat sie nicht entmutigt. Im folgenden Bericht erzählt sie von ihrer musikalisch geprägten Kindheit in der Türkei, ihrem Weg an die Oper Frankfurt und von den glücklichen Momenten, die sie hier trotz Pandemie-bedingter Einschränkungen bereits erleben konnte.

 

ÜBER KLAVIERSPIEL UND BALLETT ZUM GESANG

»Von klein auf hat Musik eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Während der Grundschulzeit habe ich Klavier gespielt, im Chor gesungen und Ballett getanzt. Schon mit 10 Jahren trat ich mit dem Orchester der deutschen Rathenow-Musikschule als Solopianistin beim internationalen Bursa-Festival auf. Journalisten interviewten mich anschließend und in der Zeitung war dann zu lesen: ›Ekin Sus Traum ist die Opernausbildung‹.

 

Und jetzt bin ich im Opernstudio eines der besten Opernhäuser Deutschlands! Manchmal kann ich es kaum glauben, dass meine Kindheitsträume gerade wahr werden, auch wenn die Pandemie manchen Schatten auf das Leben wirft.

 

Mit 15 Jahren trat ich dem Chor der Musikakademie bei und nahm Gesangsunterricht. Nach meinem ersten Konzert mit dem Staatlichen Orchester Izmir und nach einem Recital in der Kirche Notre Dame de Lourdes stand mein Entschluss, professionelle Opernsängerin zu werden, endgültig fest, und ich ging an das Staatliche Konservatorium der Universität Istanbul.

Die Kulturwelt in der Türkei entwickelt sich in allen Bereichen stark – die Nachfrage ist sehr groß. Es gibt sechs Opernhäuser und zahlreiche internationale Musik- und Opern-Festivals, die für 80 Millionen Einwohner*innen leider noch nicht genug sind. Alle Tickets sind jeweils in kürzester Zeit ausverkauft. Ich hatte die Möglichkeit, bei Opernfestivals in Istanbul und Izmir als Solistin aufzutreten. Einer der schönsten Auftritte war für mich der mit dem Izmir-Opernorchester in der alten Celsus-Bibliothek in Ephesus – ein unbezahlbares Erlebnis!

 

 

PROBEN UND VORSTELLUNGEN DER ETWAS ANDEREN ART

Bei dem internationalen Wettbewerb Neue Stimmen 2019 in Gütersloh sang ich in einer Gruppe junger Opernsänger*innen, die aus tausenden Bewerber*innen ausgewählt worden waren, Arien vor einer Jury. Auch Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, war Jury-Mitglied. Nachdem wir ein wenig über seine schönen Erinnerungen an die Türkei gesprochen hatten, bot er mir das Engagement im Opernstudio der Oper Frankfurt an.

 

Dieses internationale Haus bietet den Künstler*innen ein familiäres Gefühl. In der Türkei sind Familie und menschliche Wärme sehr wertvoll. Diese Atmosphäre macht mich deshalb besonders glücklich, wie sicher auch viele andere Künstler*innen, die weit weg von zu Hause leben.

 

Als ich im vergangenen Herbst meinen Master in Musiktheater an der Kunstuniversität in Graz abgeschlossen hatte, zog ich von dort nach Frankfurt. Zu einer Zeit, als ständig neue Regeln an den Grenzen des Landes eingeführt wurden, war es nicht einfach umzuziehen. Nachdem ich die ersten Monate der Pandemie mit Einschränkungen verbracht hatte, begann ich die neue Saison voller Hoffnung, nun auf der Bühne singen zu können. Aber Corona machte Spielplanänderungen nötig, so dass ich zunächst nur einige Auftritte als Barbarina in Mozarts Le nozze di Figaro hatte. Die Wiederaufnahme der Produktion wurde an das Hygienekonzept angepasst und einige Szenen wurden gestrichen. Auf der Bühne mussten wir mindestens drei Meter Abstand voneinander halten. Die erste Orchesterprobe fand hinter Plexiglas statt. Vor jeder Probe mussten wir duschen und unsere Haare waschen, bevor wir in die Maske durften. Auch wenn die Maßnahmen ungewohnt waren, fühlte ich mich bei diesem Probenritual vollkommen sicher.

 

Als erste türkische Künstlerin im Opernstudio der Oper Frankfurt war ich sehr glücklich und voller Vorfreude auf meine erste Vorstellung.

 

Mein Glück wurde begleitet von einer süßen Aufregung und auch von einer kleinen Panik, dass ich nur ja nicht näher als drei Meter an meine Kolleg*innen herankomme! Backstage in meiner Garderobe, während ich auf meinen Auftritt wartete, verging die Zeit sehr langsam. Diese Erfahrung war unvergesslich.

 

ZURÜCK NACH FRANKFURT, NACH HAUSE

Unmittelbar nach meinen ersten Vorstellungen in Frankfurt fuhr ich für ein Gastspiel zu Proben nach Wien – mit negativem PCR-Test! Die Rolle der Barbarina war auch mein Wiener Debüt am Theater an der Wien. Jeden Tag habe ich die Persönlichkeit dieses sensiblen Mädchens besser kennengelernt und konnte das, was ich in Frankfurt gelernt hatte, einbringen. Aber dann wurden die Opernhäuser wieder für das Publikum geschlossen. Trotzdem probten wir weiter, um unsere Le nozze di Figaro live im Österreichischen Fernsehen ORF 3 vorzustellen. Plötzlich wurde mein Wiener Debüt zu meinem Live-TV-Debüt. Mit dieser wertvollen Erfahrung fuhr ich zurück nach Frankfurt, nach Hause.

 

 

DER ALLTAG GEHT WEITER – DIE HOFFNUNG AUF DAS PUBLIKUM WÄCHST

Jetzt, während des Lockdowns, wird für die Mitglieder des Opernstudios der Deutschunterricht digital fortgesetzt und es finden Coachings statt, in denen wir neue Rollen lernen, um uns auf den Rest der Spielzeit und die kommende Saison vorzubereiten. Wir haben – natürlich unter strengen Hygienevorschriften – Meisterkurse mit Brigitte Fassbaender, Neil Shicoff, Hedwig Fassbender und Eytan Pessen. Es ist überaus wertvoll, mit diesen großen Künstler*innen zu arbeiten und von ihnen zu hören, was wir richtig machen und was wir entwickeln können. Zum Beispiel begleitete Frau Fassbaender das Rosenkavalier-Duett als Octavian, als ich Sophie sang. Ich kann den Moment nicht vergessen, in dem sich unsere Stimmen vereinten, es war faszinierend für mich. Ein Meisterkurs mit ihr, der am 19. Februar ausgestrahlt wurde, ist nach wie vor auf Youtube zu sehen. Hier kann man miterleben, wie die große Künstlerin und Gesangspädagogin in einer intensiven Arbeitssituation ihre reiche Erfahrung und ihr Wissen mit uns jungen Sänger*innen teilt.

 

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Mit Live-Konzerten, die in den vergangenen Wochen stattfanden und weiter stattfinden, konnten wir unser Publikum dank der Technik wenigstens zu Hause erreichen und damit vielleicht ein wenig Zuversicht aussenden. Trotzdem hoffe ich, den Applaus des Publikums noch vor dem Sommer wieder zu hören. Die Zeit der Pandemie, die uns gelehrt hat, nicht einmal die nächste Woche zu planen, hält mich aber davon ab, mir genaue Vorstellungen von diesem Jahr zu machen. Ich lasse mich überraschen, in welchen Rollen ich auf der Bühne sein werde.«

Text: Ekin Su Paker

Redaktion: Juliane Lehmann und Selina Stefaniak

28. Februar 2021

IM ENSEMBLE: ANTHONY ROBIN SCHNEIDER

SÄNGER, BÄCKER, EUROPÄER

 

»Österreichisch-neuseeländischer Bass« steht in Anthony Robin Schneiders Künstlerbiografie. Im Gespräch mit dem jungen Sänger, der seit der Spielzeit 2019/20 im Frankfurter Ensemble singt, hat man das Gefühl, dass es eigentlich »europäischer Bass« heißen müsste. Denn auf die Frage, welchem Teil seiner Wurzeln er sich verbundener fühlt, antwortet Anthony sehr direkt:

 

»Ich fühle mich mehr als Europäer.«

 

WENN MAN MEHRERE MUTTERSPRACHEN HAT

Geboren in Österreich als Kind einer neuseeländischen Cellistin und eines österreichischen Kontrabassisten, zog Anthony mit seiner Familie nach Frankreich, als er neun Jahre alt war. Den Schulabschluss machte er in England.

Kann man da eine einzige Muttersprache haben? Mit Anthonys Vater wurde zuhause Deutsch gesprochen, mit seiner Mutter Englisch. Und weil man ihm und seinem Bruder in Frankreich sagte, dass es unhöflich sei, Deutsch zu sprechen, da sie von niemandem sonst verstanden würden, haben die Brüder begonnen, Französisch miteinander zu reden, was sie bis heute tun.

Die Schule hinter sich gebracht, wollte Anthony seiner neuseeländischen Seite auf den Grund gehen: »Also bin ich zum Studium nach Neuseeland gezogen. Dort habe ich gemerkt, dass ich gar nicht so sehr Neuseeländer bin wie ich dachte. Es sind so viele kulturelle Kleinigkeiten, die sich gar nicht immer genau benennen lassen, aber die den Unterschied ausmachen.« Nach seinem Bachelorstudium an der University of Auckland ging Anthony aber erst einmal in die USA, um dort seine Gesangsausbildung an der Academy of Vocal Arts in Philadelphia und schließlich im Houston Grand Opera Studio fortzusetzen.

 

RAMPENSAU? ABER HALLO!

Als Kind zweier Musiker ist Anthony mit Musik aufgewachsen. Als 8-Jähriger hat Anthony begonnen, Klavierunterricht zu nehmen, hat auch Cello- und Orgelspielen gelernt und parallel dazu im Kirchenchor gesungen. »Ich hatte einen tollen Gesangslehrer, der meinte: Ich höre immer mehr unterschiedliche Farben in deiner Stimme. Vielleicht könntest du das Singen ausprobieren.« Nach dem Einstieg ins Bachelorstudium mit Klavier im Hauptfach und Gesang im Nebenfach tauschte Anthony nach ein paar Jahren den Schwerpunkt und stieg dann komplett auf Gesang um.

 

»Es ist einfach toll, auf der Bühne zu sein!«

 

Früher dachte Anthony, dass es sich für alle so großartig anfühlen müsste, bis jemand zu ihm sagte: »Ich hasse es, auf der Bühne zu stehen.« Auch wenn er das inzwischen verstehen kann, geht es dem Bassbariton da ganz anders: »Ich habe zwar während der Probenzeit viel Stress, um das Stück richtig zu gestalten, aber das ist alles vergessen, sobald die Vorstellung losgeht.«

 

Umso mehr vermisst Anthony die Vorstellungssituation, das Auftreten, das Publikum. Umso mehr hatte er sich nach einer längeren probenlosen Phase auf die Neuproduktion von Luisa Miller und sein Debüt als Verdis Wurm gefreut. »Es war so erfrischend, endlich wieder zu proben«, schildert er. »Trotz aller Ungewissheiten und unter Beachtung aller geltenden Einschränkungen haben wir uns in die Arbeit geschmissen, denn wie man so schön sagt: Die Hoffnung – in unserem Fall auf eine Premiere – stirbt zuletzt.«

Umso stärker war auch das Erleben jenes Moments, in dem klar war, dass die szenischen Proben zu Luisa Miller aufgrund der Corona-Situation eingestellt werden müssen: »Obwohl die Entscheidung vollkommen nachvollziehbar und angesichts der Entwicklungen um uns herum keine wirkliche Überraschung war, war ich selbst überrascht, wie sehr es mich getroffen hat.« Auch Anthonys geplante Auftritte als Mozarts Komtur und sein Wagner-Debüt mit der Partie Heinrich der Vogler (Lohengrin) in Erl konnten bisher nicht stattfinden. Engagements und damit seine Rückkehr an die Houston Grand Opera wurden in die Zukunft verschoben …

Im Januar 2020, kurz bevor sich unser aller Alltag im letzten Jahr radikal veränderte, gab Anthony an der Seite der Pianistin Anne Larlee einen Liederabend im Holzfoyer, dessen FLASHBACK nach wie vor abrufbar ist:

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»…, DER BÄCKER HAT GERUFEN …«

Warum ausgerechnet das Backen sein liebstes Hobby ist? »Jeder Tag ist ein neuer Tag. Und gerade beim Singen muss man immer wieder von vorne anfangen – mit dem Üben, mit neuen Rollen usw. Backen ist in dieser Hinsicht einfacher. Und man hat am Ende etwas in der Hand, das man sehen und essen kann.«

Wenn Anthony nicht gerade in der Küche steht, zieht es ihn in seiner freien Zeit raus ins Grüne, zum Wandern. Dass der Taunus mit seinen Bergen – »naja, Hügeln«, grinst er – so gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist, findet Anthony großartig. Er mag Frankfurt: »Weil ich hier alles tun kann, was ich gerne mache.« Anthony schätzt die hiesige Kinolandschaft, den Jazzkeller, Sommerabende am Main, die vielseitige Gastronomieszene – dieses Pro teilt sich Frankfurt übrigens mit Houston – und die Frankfurter Küche bis auf eine Ausnahme: »Handkäs überlasse ich gerne anderen«, gesteht er.

 

EIN EINDRUCK, VIELE EINDRÜCKE

Nach einem Jahr in Houston war für Anthony klar, dass er seine Karriere in Europa beginnen und auch wieder näher bei seiner Familie sein wollte. »Ich hatte zum Glück schon einen guten Agenten gefunden, sang an drei Häusern vor – Frankfurt war das erste – und Bernd Loebe hat ziemlich schnell signalisiert, dass er mich gerne in seinem Ensemble hätte. Es lief einfach richtig gut.« Was ihn umso mehr freute, als das mit dem Vorsingen so eine Sache sei … Denn der eigene Eindruck decke sich nicht immer mit dem der anderen, sagt Anthony.

Ganz ähnlich sei es mit der eigenen Stimme, die im eigenen Kopf ja auch immer anders klingt, als andere sie wahrnehmen. »Das muss man als junger Sänger erst einmal verstehen. Da gibt es auch mal den Moment, in dem ein Lehrer meint: ›Ja, das ist besser, jetzt hast du es so gemacht wie ich wollte‹, obwohl man selbst vielleicht genau das Gegenteil versucht hat. Je nach Stimme fühlt sich manches anders an.«

ANTHONY ROBIN SCHNEIDER (MITTE) ALS MÖNCH IN VERDIS »DON CARLO«

 

DIE PASSENDE KRAGENWEITE

Mozart und Händel gelten als DIE Komponisten, um das Singen, um Technik zu lernen, um die Stimme zu pflegen und zu verstehen, wie man sie benutzt. Anthony hat aber eine andere Vorliebe. Von der ersten Begegnung an war klar:

 

»Verdi fühlt sich einfach richtig an. Das ist genau meine Stimmgröße.«

 

Kaum verwunderlich also, dass es die großen Verdi-Partien sind, für die Anthonys Herz besonders schlägt. Mit dem Großinquisitor, den er in Frankfurt vor einem Jahr interpretiert hat, ist bereits ein Rollentraum in Erfüllung gegangen: »Ich hätte nie gedacht, dass ich die Partie schon so früh singen werde. Sie macht großen Spaß. Anders als der König, der den ganzen Abend bestreiten muss, steht der Großinquisitor nur für neun Minuten auf der Bühne. Und trotzdem kann man mit dieser Rolle beeindrucken.« Sagt’s und verabschiedet sich mit großer Vorfreude auf ein neues Kuchenrezept, das er heute noch ausprobieren will.

Text: Mareike Wink

14. Februar 2021

NEU IM ENSEMBLE: BIANCA TOGNOCCHI

OPER – DIE PERFEKTE KUNSTFORM

»Meine große Leidenschaft für das Musiktheater begann, als ich drei Jahre alt war«, sagt Bianca Tognocchi. Eine Leidenschaft, die sie inzwischen zum Beruf gemacht hat und als gefragte Sängerin auf vielen Bühnen ausleben kann – seit der Spielzeit 2020/21 als neues Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt. Gleich zu Beginn, bevor wir unsere Pforten Anfang November schließen mussten, war sie als stimmstarke und trotz Corona-Auflagen ungebremst komödiantische Susanna in Mozarts Le nozze di Figaro zu erleben. Im Folgenden erzählt sie von sich und beschreibt, was sie an der Oper so fasziniert.

 

TAVÀ, DER KASPERL VOM COMER SEE

Bianca Tognocchi hat ihre Kindheit am Lago di Como verbracht. Sie schwärmt von der Schönheit der Landschaft, die sie vermisst. Aber auch die Großstadt Mailand, wo sie am Konservatorium Giuseppe Verdi ausgebildet wurde, war nicht weit. Sie erzählt, wie die Oper schon immer da war: Als Kleinkind nahm der Vater, damals Regieassistent, sie jeden Tag mit ins Theater. Zeichentrickfilme wurden durch Videokassetten von La Cenerentola und Il barbiere di Siviglia ersetzt.

 

»Mein Traum war schon früh: Sängerin werden. Darin haben mich meine Eltern sehr unterstützt. Sie betreiben seit 40 Jahren ein Puppentheater: Das Teatro dei burattini di Como. Die Puppen mit den liebevoll geschnitzten Holzköpfen werden in der eigenen Werkstatt gefertigt. Im Mittelpunkt der Geschichten steht eine Maskenfigur: der bauernschlaue Matrose Tavà. Aber auch Opern werden auf die Puppentheaterbühne übertragen.« 

 

Kasperlepuppen kommen auch in Keith Warners Inszenierung von Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel vor. Im November hat Bianca Tognocchi als zweite Partie im Festengagement an der Oper Frankfurt das Taumännchen geprobt; doch die geplante Wiederaufnahme fiel Corona-bedingt aus. Zu erleben ist sie derzeit aber virtuell im Livestream unter dem Motto »Bühne frei«:

 

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MUSIKTHEATER IST DIE KÖNIGSDISZIPLIN

Wenn Bianca Tognocchi über Oper spricht, ist ihr die Begeisterung anzumerken. Dabei scheut die italienische Sopranistin mit der markanten Lockenmähne auch große Worte nicht. Oper, das sei für sie die Königsdisziplin. Und das sagt sie nicht nur, weil sie so gerne als Sängerin auf der Bühne steht.

 

»Das Musiktheater ist für mich die künstlerische Ausdrucksform, die am höchsten steht. Hier treffen sich Musik und Dichtung in Verbindung mit einer theatralen Handlung. Gibt es etwas Umfassenderes, Perfekteres? Die Oper erreicht alle Bildungs- und Gesellschaftsschichten. Sie spricht von der Menschlichkeit. Wer behauptet, das Musiktheater nicht zu lieben, hat nie eine Aufführung in einem Opernhaus erlebt, da bin ich mir sicher!«

 

An Deutschland schätzt sie, wie selbstverständlich die Liebe zur klassischen Musik hier ist: »In die Oper zu gehen, gehört einfach dazu. Das wird nicht als etwas Elitäres angesehen, wie in Italien leider häufig. Das Musiktheater ist vielfältig und offen für Diversität.«

 

SCHWIERIGE LAGE IM MUTTERLAND DER OPER

2018 kam die junge Italienerin nach Leipzig, wo sie zwei Jahre lang Ensemblemitglied war. Den Sprung über die Alpen hatte sie zuvor bei den Tiroler Festspielen in Erl gemacht, wo sie ab 2012, parallel zu zahlreichen Auftritten in Oberitalien, immer wieder zu erleben war – u.a. als Susanna, als Waldvogel und Musetta, als Elvira in L’italiana in Algeri und Amina in La sonnambula. Es fiel Bianca Tognocchi nicht leicht, Italien hinter sich zu lassen. Doch für ihren Beruf war es auf jeden Fall das Richtige. Sorgen macht ihr die Lage der Kultureinrichtungen in ihrem Heimatland:

 

»In Italien kommen Kunst und Musik für die Politiker an letzter Stelle. Es gibt keine Vermittlung auf breiter Basis, um sich von Kindheit an darin zu üben, klassische Musik zu hören und wertzuschätzen. Dazu bedarf es langfristiger Konzepte – eine Investition, die sich auszahlt. Dabei ist die Oper doch in Italien entstanden! Aber heute ist sie dort eine sterbende Kunst.«

 

BIANCA TOGNOCCHI ALS SUSANNA MIT GORDON BINTNER ALS FIGARO IN MOZARTS »LE NOZZE DI FIGARO«

 

In Frankfurt hat Bianca Tognocchi schon in der letzten Spielzeit als Gilda debütiert. Lucia di Lammermoor sang sie kürzlich in Darmstadt. Als nächstes waren Auftritte als Olga Sukarew in Umberto Giordanos Fedora geplant; doch die Übernahme dieser Produktion von der Königlichen Oper in Stockholm an die Oper Frankfurt muss nun verschoben werden. Die junge Sängerin lässt sich jedoch nicht entmutigen: »Wenn dieser für uns alle schreckliche Moment der Pandemie irgendwann – hoffentlich bald! – nur noch eine schlimme Erinnerung sein wird, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als die Rollen meiner Lieblingskomponisten zu singen: Donizetti, Bellini, Rossini!« Auch eine Partie von Richard Strauss steht auf dem Wunschzettel der Koloratursopranistin: »Ich studiere gerade die Zerbinetta – die würde ich gerne so bald wie möglich singen!«

Mit viel Humor ist die temperamentvolle Sängerin in unserem virtuellen Adventskalender zu erleben: Hinter Türchen #9 verbirgt sich ein wunderbar satirischer Auftritt, den sie zusammen mit ihrem Landsmann, dem Korrepetitor Felice Venanzoni, bestreitet. Da singt sie das neapolitanische Liedchen ‘A vucchella (was so viel wie »das Schnütchen« bedeutet) von Francesco Paolo Tosti auf Verse von Gabriele d’Annunzio sozusagen ins Telefon:

 

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Text: Konrad Kuhn

31. Januar 2021