VIER MUSIKER*INNEN DES FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMSORCHESTERS IM GESPRÄCH ÜBER PROBEN, NEUE MUSIKALISCHE WEGE UND VORFREUDE
Das letzte Jahr hat die Musiker*innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters ziemlich gefordert, denn von heute auf morgen konnten sie sich in der Oper nur noch punktuell zu Proben oder gemeinsamem Spiel treffen. Seit ein paar Tagen finden endlich wieder Vorstellungen vor Publikum statt. Die Orchestermusiker*innen Gesine Kalbhenn-Rzepka, Sabine Krams, Johannes Grosso und Steffen Uhrhan berichten hier, wie sie das letzte Jahr erlebt haben.
Wie hat sich euer Üben im vergangenen Jahr verändert?
Steffen Uhrhan (Schlagzeug) Anfangs hat sich erstmal gar nichts verändert, weil man die Dimension gar nicht abschätzen konnte. Ich hatte durch die fehlenden Proben und Vorstellungen sogar etwas mehr Zeit, mich mit meinen Instrumenten auseinanderzusetzen. Je länger allerdings die Situation andauerte, umso schwieriger wurde es, sich zu motivieren, denn ich brauche ein Ziel, um mein Üben zu fokussieren und auf dieses dann hinzuarbeiten.
Johannes Grosso (Oboe) Die tägliche Arbeit mit meinem Instrument hat sich nicht verändert. Ich muss jeden Tag üben und brauche diesen Kontakt mit der Oboe. Vor allem in der ersten Zeit habe ich am Abend regelmäßig für meine Nachbarn im Flur gespielt. Sie haben es sehr genossen, live Musik zu hören, und es hat wiederum mich gefreut, für ein kleines Publikum zu spielen.
Sabine Krams (Violoncello) Lange Zeit war es ein zwiespältiges Gefühl, in die Oper zu kommen, fast wie ein besonderer Event – nicht täglich mehrmals, und auch nicht mit allen, sondern nur mit wenigen Kolleg*innen auf Abstand zu musizieren. Ich wartete ziemlich ungeduldig auf den Moment, endlich wieder live für unser Publikum spielen zu können – von Mensch zu Mensch.
Gesine Kalbhenn-Rzepka (Erste Violine) Da der gewohnte Probenalltag weggefallen ist, habe ich wieder Technik und Etüden geübt, an den Grundlagen gefeilt und mir Literatur für Geige solo herausgesucht und erarbeitet. Zum Glück gibt es eine große Auswahl wunderbarer Musik!
Konntet ihr neue musikalische Wege beschreiten?
Gesine Kalbhenn-Rzepka Ich hatte die Gelegenheit, zwei Kammermusik-Livestreams der Oper Frankfurt mit Kolleg*innen zu gestalten, den ersten im Herbst, Wien um 1900, und den zweiten Anfang März, Fantasia. Während der erste Stream praktisch nur eine Wiedergabe des Konzerts war, war der zweite Stream mit Raumgestaltung, Licht und Kameraführung inszeniert. Ich war zunächst skeptisch, ob das nicht von der Musik ablenken würde, aber es hat das Musikerlebnis sogar intensiviert. Besonders war für mich auch, dass Menschen aus der ganzen Welt dabei sein konnten, die das Konzert sonst nicht hätten erleben können. Ein Stream ist kein Ersatz für ein Livekonzert, aber eine tolle Ergänzung. Im zweiten Stream haben wir Musik aus dem 17. und 20. Jahrhundert einander gegenüber gestellt und sowohl auf historischen bzw. nachgebauten als auch auf modernen Instrumenten gespielt, in zwei verschiedenen Stimmungen. Dieses Spannungsfeld auszuloten und sich mit den verschiedenen Spielweisen auseinanderzusetzen war eine bereichernde Herausforderung und schließlich ein besonderes künstlerisches Erlebnis.
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Johannes Grosso Die Zeit hat mir ermöglicht, Repertoirestücke wieder zu studieren, die ich seit meiner Studienzeit nicht mehr gespielt hatte. Man hatte mehr Muße, alles tief und gründlich einzustudieren.
Steffen Uhrhan Ich habe mich etwas intensiver mit Home-Recording bzw. mit diversen Aufnahme-Möglichkeiten auseinandergesetzt und experimentiert.
Viele von euch haben den Fokus auf ganz neue Bereiche gelenkt …
Sabine Krams In meinem Studienkurs für angehende Cellist*innen habe ich Orchesterspiel vermittelt, mit 24 Cellist*innen Strauss geübt und umso mehr bemerkt, wie sehr mir gerade die große Besetzung eines Orchesters fehlt.
Johannes Grosso Ich habe mein Interesse für die Kochkunst entdeckt. Meine Freundin kocht sehr gerne und sehr gut. Ich habe ihr gern dabei geholfen und viel gelernt. Ich habe mir vorgenommen, mein Schriftdeutsch zu verbessern. Über WhatsApp habe ich mit meiner Mutter, einer ehemaligen Deutschlehrerin, Zeitungsartikel gelesen und dabei ziemlich viele Vokabeln gelernt!
Steffen Uhrhan Ein großer Fokus lag bzw. liegt in dieser Zeit auf meiner Familie. Unsere Tochter war über einen sehr langen Zeitraum nicht in der Kita und Dreh- und Angelpunkt unseres Alltags. Im Orchestervorstand haben wir viel Zeit und Energie aufgebracht, um neue Ideen, Konzepte und Visionen zu entwickeln und umzusetzen. Ich selbst habe mein Laufpensum etwas nach oben geschraubt und als Fernziel die Teilnahme an einem Marathon angepeilt.
Sabine Krams Und wir haben alle erkannt, dass ein Weitergeben eines musikalischen Funkens in der digitalen Welt durchaus auch möglich ist, wenn auch viel schwieriger als im Live-Konzert. Ich habe gelernt, besser mit den digitalen Geräten umzugehen.
Johannes Grosso In der Oboengruppe hatten wir Lust zusammen zu spielen und haben Videos gemacht. Meine Student*innen unterrichte ich über Zoom, das funktioniert zwar sehr gut, ersetzt aber auf keinen Fall den persönlichen Kontakt.
Gesine Kalbhenn-Rzepka Ich habe es sehr genossen, mehr Zeit für meine Familie zu haben. Zeit zum gemeinsamen Kochen, zum Spielen, für Gespräche und Austausch, für Ausflüge in die nähere Umgebung und natürlich auch, um das Homeschooling meiner Kinder zu begleiten.
Seit ein paar Tagen spielen wir endlich wieder. Worauf freut ihr euch?
Sabine Krams Auf ein Wiederbeleben dieses einzigartigen Austausches von Menschen, der nicht messbar und beweisbar, aber doch fühlbar ist, darauf freue ich mich besonders. Und natürlich auf unser Publikum, das nach der langen Abstinenz von Zuschauer*innen und Zuhörer*innen ein noch viel intensiveres Erlebnis hervorruft.
Gesine Kalbhenn-Rzepka Ich freue mich drauf, endlich wieder für ein Live-Publikum gemeinsam, ohne Abstände musizieren zu dürfen und Familie und Freund*innen ohne Bedenken treffen zu können!
Steffen Uhrhan Ich freue mich auf den Tag, an dem ich zum ersten Mal abends wieder an einem meiner Instrumente im Graben sitzen darf, bei voller Orchesterstärke, ohne Abstand, ohne Maske, das Haus im besten Fall bis auf den letzten Platz ausverkauft ist und wir alle mit großer Vorfreude dem Beginn der Vorstellung entgegenfiebern.
Johannes Grosso Ich freue mich darauf, endlich wieder vor ausverkauften Sälen zu spielen und natürlich auch nach dem Konzert mit den Kolleg*innen ein Bierchen in der Kantine zu trinken!
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Das Gespräch mit Gesine Kalbhenn-Rzepka, Sabine Krams, Johannes Grosso und Steffen Uhrhan führten Márta Berger und Deborah Einspieler.
Fotos: Barbara Aumüller und Bogdan Michael Kisch
20. Juni 2021