KLANG DER GROSSEN GEFÜHLE AUF ORIGINALINSTRUMENTEN

DIE GEIGERIN BASMA ABDELRAHIM ÜBER DIE WELT DER BAROCKMUSIK

Seit über 20 Jahren ist die Geigerin Basma Abdelrahim mit ihren Kolleg*innen, den Mitgliedern des Horus Ensemble, auf der leidenschaftlichen Suche nach vergessenen Werken des Barock, die sie auf Originalinstrumenten zu neuem Leben erwecken. »Alte Musik, neu entdeckt« könnte ihr Motto heißen, das sie auch in den Barockproduktionen der Oper Frankfurt mit großer Lust vertreten. Basma Abdelrahim, Mitgründerin des Ensembles, erzählt mit Feuer und Flamme über ihre Entdeckungen und die Lust an der historischen Aufführungspraxis. Ein Aufbaustudium führte sie nach Frankfurt, wo sie 1984 ein DAAD-Stipendium erhielt und 1987 ihr Diplom absolvierte. Seitdem ist sie Mitglied des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und gilt als unermüdliche, leidenschaftliche Musikerin mit einem besonderen Faible für die Alte Musik.

Basma Abdelrahim (vorne links) mit ihren Kolleg*innen Ludwig Hampe, Kaamel Salaheldin, Carla Linné, Felice Venanzoni, Daniele Camintini und Karl Kaiser

 

BESONDERHEITEN DER ›BAROCK-SPRACHE‹ 

»Die Gefühlsintensität, die man bei der Kammermusik erfährt, ist einfach unersetzbar. Im Vergleich zum miteinander Musizieren in großen Orchesterbesetzungen bietet die Kammermusik auf Originalinstrumenten eine andere Form von Interaktion im Mikrokosmos. Das gemeinsame Agieren und Reagieren entsteht im kleinsten Kreis und wird bei der Probenarbeit immer neu entwickelt. Ganz besonders gilt dies für die Barockmusik, da sie auf der sogenannten Affektenlehre basiert. So stehen dort Glück, Freude, tiefe Trauer, Angst, Rachsucht oder Liebeskummer ganz eng beieinander. Die Möglichkeit, all diese Gefühle intensiv vermitteln zu können, feuert die Interpret*innen geradezu an. Es lässt einen einfach nie kalt.

Natürlich muss man sich erstmal in die ›Barock-Sprache‹ einarbeiten, was einen Riesenunterschied in der Lesart bedeutet. Es ist vergleichbar mit einer Fremdsprache, die trotz identischer Buchstaben beim Lesen zunächst keinen Sinn ergibt. Im Barock kommen enorme Interpretationsunterschiede dazu, beispielsweise die verschiedenen ›Diktionen‹ der französischen und der italienischen Schulen. Allein in der Kunst der Verzierung, die ein großer Bestandteil der persönlichen Interpretation war, unterscheiden sie sich extrem voneinander. Ein faszinierendes, breitgefächertes Feld lernt man während der Beschäftigung mit diesen Werken kennen.

Die Barockopern bieten weitere vielfältige Möglichkeiten, szenische Effekte mit musikalischen Mitteln zur Geltung zu bringen. Ganz besonders gilt das für die Farbschattierungen der Continuogruppe: Wenn es zum Beispiel um ein Schiff im brausenden Meer geht, sorgt das Cembalo dafür, dass die Gischt des Meeres förmlich im Nacken zu spüren ist. Oder wenn es sich um einen ›dummen Esel‹ handelt, freut man sich, wenn aus dem Cello ein ›I-Ah‹ geschleudert wird! Kuckucks- oder Kanarienlaute werden meistens auf der Blockflöte gespielt, Kriegslaute, aber auch Tanzszenen besonders vom Schlagzeug angefeuert. Diese Musik bietet einen unendlichen Reichtum an freien Interpretationsmöglichkeiten.

 

 

DIE WEICHEN WERDEN GESTELLT 

Meine erste Begegnung mit der faszinierenden Welt der Alten Musik liegt viele Jahrzehnte zurück. Als kleines Mädchen nahmen mich meine Eltern zu einem der zahlreichen Konzerte in unserer Heimat Ägypten mit. Ein Ensemble aus Deutschland führte Renaissance-Musik mit Tanz auf. Leider kann ich mich an den Namen nicht mehr erinnern, aber ich war so begeistert und fasziniert, dass ich schon damals von dieser Art des Musizierens geträumt habe! Diese Begeisterung begleitete mich wie ein roter Faden durch meine Studienzeit: Ich habe alle meine Lehrer*innen ständig mit der Frage genervt, wie wohl die Alte Musik in ihrer Entstehungszeit geklungen haben mochte. Damit erntete ich nicht nur begeisterte Reaktionen.

Meine zweite, entscheidende Begegnung mit der historischen Aufführungspraxis fand in den USA statt. In den Jahren nach dem Opernbrand gab es in Frankfurt zwangsläufig weniger Aufführungen und Konzerte. Zum Glück erhielt ich in dieser Phase ein Stipendium und durfte in Bloomington/Indiana ein halbes Jahr weiterstudieren. Dort war es Pflicht, sich in einem der Hochschulorchester zu engagieren. Ich habe von Anfang an darum gebeten, dies nicht machen zu müssen, da ich schon Mitglied eines professionellen Opernorchesters war. Leider ohne Erfolg. Aber man hat mir immerhin die Wahl zwischen den Bereichen Sinfonie-, Opern- und Barockorchester gelassen. Plötzlich bekam ich große Lust auf die Arbeit in einem Barockorchester, auch wenn ich keine Barockgeige besaß und noch nie in tiefer Stimmung (415Hz) gespielt hatte! ›Kein Problem‹, meinte der Leiter der Barockabteilung. Mir wurde ein Instrument zur Verfügung gestellt und der Unterricht konnte sofort beginnen.

Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Trotz enormer Anfangsschwierigkeiten hatte es einen erfrischenden Effekt. ›Leider‹ habe ich ein absolutes Gehör, was sich zunächst als ein Hindernis darstellte. Doch insgesamt war ich Feuer und Flamme! Ich glaube, es ging vielen Orchestermusiker*innen am Anfang unserer gemeinsamen Reise in die Welt des Barock ähnlich wie mir damals. Aber nach anfänglichem Zögern vieler Kolleg*innen wird unsere Barockcommunity immer größer und vielseitiger. Das macht mich sehr glücklich!

 

TRAUMVERWIRKLICHUNG IM ALLTAG

Zwischen 1993 und 1995 ging mein Traum endlich in Erfüllung. Ich konnte in der Schola Cantorum Basiliensis Barockvioline studieren und pendelte zwischen Frankfurt und Basel. Mit gemischten Gefühlen erinnere ich mich an manche Marathontage: 6.00 Uhr Abfahrt Frankfurt, dann Unterricht auf Barockgeige in Basel, Rückfahrt, schließlich 17.00 Uhr Generalprobe Die Walküre in Frankfurt – selbstverständlich NICHT auf der Barockgeige …

Nach diesen Jahren der Entdeckung der Barockmusik auf historischen (oder historisch orientierten) Instrumenten haben wir das Horus Ensemble gegründet. Seit der Spielzeit 2001/02 widmen wir uns intensiv der Suche nach alten, vergessenen Schätzen dieser Epoche.

Wir ›Horusler‹, stellvertretend für alle Barockinterpret*innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, sind voller Freude und Zuversicht, bald wieder die Nähe unseres geliebten Publikums spüren zu können und die Musik wieder gemeinsam genießen zu dürfen! Schließlich gilt Horus ja auch als Symbol für die ›Wiedergeburt des Guten‹.«

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 Das Gespräch mit Basma Abdelrahim führte Dramaturg Zsolt Horpácsy. Der nächste Barockabend »Pur ti miro!« erwartet Sie ab dem 7. Mai im Stream auf OPER FRANKFURT ZUHAUSE.

2. Mai 2021

 

 

 

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