NEU IM ENSEMBLE: NICHOLAS BROWNLEE

IN RASANTEM TEMPO RICHTUNG TRAUMPARTIE

Seit Beginn dieser Spielzeit gehört Nicholas Brownlee zum Ensemble der Oper Frankfurt. Bisher konnte er sich hier virtuell in zwei Livestreams präsentieren. Es fällt ihm schwer, seine Ungeduld zu zügeln, endlich auch wieder vor Publikum aufzutreten. Wie er trotzdem das Beste aus der Situation macht und wie es kam, dass er vom Motorsport zur Musik wechselte, schildert das folgende Porträt.

 

VON DER RENNPISTE IN DIE KIRCHE

Dass er das Zeug zum professionellen Rennfahrer besitzt, zeigte Nicholas Brownlee schon in jungen Jahren. Das Schrauben an schnellen Kisten, vor allem aber das Fahren der Wagen begeisterte den Jugendlichen aus Alabama. Im Alter von 13 Jahren steckte ihn sein Vater zum ersten Mal in ein Rennauto, seine Mutter war alles andere als begeistert. »Und meine Eltern steuerten in einen ordentlichen Ehekrach«, erzählt Nicholas augenzwinkernd. Über zehn Jahre lang fuhr er regelmäßig Sport-Rennen und durchkreuzte in der Saison von März bis Mai den gesamten Südosten Amerikas. Samstagnachts ging es oft über Hunderte von Kilometern wieder zurück nach Hause, denn am Sonntagmorgen wollte Nicholas pünktlich in der Kirche sein, um zu singen.

Über die Kirche kam er zur Musik. Hier spielte er Klavier und Orgel, bis die Kirchenchorleiterin ihn irgendwann anstupste, dass er eine gute Stimme hätte. Aber kaum eingetreten, war ihm ein Chor nicht genug und er trat rasch mehreren anderen bei. Bis dahin hatte er keine Opern oder Lieder gehört.

 

PLÖTZLICH BERÜHRT

Nicholas studierte Chorleitung und Dirigieren. Sein Highschool-Professor sorgte dafür, dass er anfing, sich mit seiner eigenen Stimme auseinanderzusetzen. Ein Solo-Album mit Liedern von Bryn Terfel war dabei ein treuer Begleiter.

 

»Stell dir vor, du hast dein ganzes Leben lang ausschließlich Fastfood gegessen und plötzlich setzt dir jemand eine Panna cotta aus der Molekularküche vor. Was machst du? Du probierst es aus.«

 

Also nahm er eine Stelle als Chorsänger an der Opera mobile in Alabama an. Er hatte bereits einige Male in Verdis La traviata mitgewirkt, als er beschloss, sich bei der nächsten Vorstellung die ganze Aufführung anzuschauen. Und Nicholas erlebte einen Schlüsselmoment: »Germont will, dass Violetta seinen Sohn Alfredo verlässt, aber sie liebt ihn doch, warum sollte sie ihn verlassen?« Von der Musik begeistert, realisierte Nicholas, dass da eine Geschichte erzählt wird, die ihn berührte. Diesen Aha-Moment und seinen Enthusiasmus für Oper möchte Nicholas weitergeben und auch andere Menschen begeistern. Nur einen Tag nach besagtem Traviata-Abend wechselte er seine Studienfächer, steuerte nun einen Doppelabschluss in Dirigieren und Gesang an und holte in Windeseile auf. Der angehende Bassbariton setzte auf Gehörbildung und Gesangsstunden, lernte Atemtechnik, vielfältige Lieder sowie Italienisch und Französisch.

In vielen verschiedenen Sprachen zu singen, findet Nicholas fantastisch. Am liebsten singt er im Augenblick aber auf Deutsch: »Es gibt so viel zu entdecken!«, dachte er schon als 25-Jähriger und stürzte sich auf die großen Wagner-Partien wie Holländer, Kurwenal, Jochanaan aus Richard Strauss’ Salome oder Barak aus Die Frau ohne Schatten, sang Kaspar aus Der Freischütz. Und das, obwohl ihm viele in seinem Umfeld signalisierten, lieber noch zu warten, als dieses Fach so früh schon anzusteuern.

 

»Ich bin groß und laut und ein echter Junge!«

 

Zwar wurde Nicholas erst kürzlich in Zürich für seinen Auftritt als Paolo Albiani in Simone Boccanegra gefeiert, dennoch lägen die meisten Verdi-Partien etwas zu hoch oder ein wenig zu tief für seine Stimme. Also übe er sich noch in Geduld, bis er sich reif fühlt für die »echten Schurken«, um dann als Verdis Jago oder Puccinis Scarpia auf der Bühne zu stehen.

Bei Vorsingen und Wettbewerben erlebe er immer wieder, dass nur drei Herren zwischen 35 Sopranen antreten, und oft bekomme er dann den Zuschlag für ein neues Angebot. Das mache ihn sehr dankbar und auch etwas demütig.

Im Übrigen sei er im Moment ziemlich ungeduldig, weil er sich schwer tue, die richtige Work-Home-Balance zu finden, sagt Nicholas. Er liebt es, Dinge mit maximalem Einsatz anzugehen und im Moment fühle er sich wie viele einfach nur ausgebremst. Er sei nicht der Typ, der seine Zehen vorsichtig ins Wasser steckt, um die Temperatur zu checken. Viel lieber springe er direkt ins eiskalte Wasser, um es auszuprobieren. Neben dem Singen kocht er gerne, verbringt ausgiebig Zeit mit seiner kleinen Tochter oder spielt Klavier.

 

HAUPTSACHE SINGEN

Eigentlich wollte er an der Oper Frankfurt im Januar als Jochanaan in Richard Strauss’ Salome debütieren, doch dann kam alles anders. Statt live vor Publikum im Großen Saal aufzutreten, hatte Nicholas seine ersten Auftritte am 8. Januar und zuletzt am 5. Februar gemeinsam mit seinem besten Freund Joshua Guerrero in unserer Livestream-Reihe Bühne frei!:

 

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Er freut sich über die klavierbegleiteten Konzerte in der Oper: »Besser als gar nicht aufzutreten«. Außerdem hat seine Familie in den Vereinigten Staaten so die Chance, live dabei zu sein, wenn er singt. Damit, dass er direkt nach dem ersten Livestream-Auftritt zahlreiche Nachrichten aus der ganzen Welt erhielt, hatte er nicht gerechnet, aber es sei toll, plötzlich auch die fernen Freunde so nah zu spüren.

Apropos Freunde, mit vielen Sänger*innen aus dem Ensemble der Oper Frankfurt wie AJ Glueckert, Anthony Robin Schneider und Cecelia Hall ist Nicholas befreundet und erzählt, dass er hier Tür an Tür mit Gerard Schneider wohnt. Die Mainmetropole mag er, weil sie ihn an eine pulsierende amerikanische Großstadt erinnert. Er liebt die multikulturelle Vielfalt, die kulinarischen Angebote und erzählt begeistert von einem Thai, dem Aroydee, am Eschenheimer Turm, auf den er vor drei Jahren gemeinsam mit seiner Frau aufmerksam geworden war, weil sich davor lange Schlangen gebildet hatten …

Bis es so weit ist, dass wir unser neues Ensemblemitglied live in einer Opernvorstellung erleben können, lernt Nicholas neue Partien. Manchmal kann man ihn im Opernhaus antreffen, wo er am »Baby«-Bösendorfer sitzt und vergisst zu üben, weil er auch so gerne Klavier spielt. Auf alle Fälle freut er sich auf seinen für Juni geplanten Auftritt als Holländer. Und wenn man ihn nach seinem größten Operntraum befragt? Am liebsten würde er irgendwann einmal in der Arena von Verona auftreten! Mit welcher Partie wüsste er zwar noch nicht, »aber es gibt ja noch so viel zu entdecken!«

Text: Deborah Einspieler

14. März 2021

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