WIE UNSER ORCHESTER TROTZ LOCKDOWN MIT DEM YOMIURI NIPPON SYMPHONY ORCHESTRA TOKYO MUSIZIERTE
Im Sommer 2020 kam es zu einer ganz besonderen Art der Zusammenarbeit zwischen dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra und dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester. 107 Musiker*innen trafen sich während des Lockdowns im digitalen Raum und spielten gemeinsam, über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg, das Vorspiel von Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg«.
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Das Yomiuri Nippon Symphony Orchestra ist eines der größten Orchester in Japan und eine Top-Adresse unter den japanischen Orchestern. Seit dem Jahr 2019 ist Sebastian Weigle neben seiner Tätigkeit als Generalmusikdirektor an der Oper Frankfurt dort auch als Chefdirigent tätig. Wir haben mit der Geigerin Nobuko Yamaguchi und den beiden Mitgliedern des Orchestervorstands Regine Schmitt (Geige) und Matthias Höfer (Bassklarinette) über das Projekt gesprochen.
Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra (YNSO) zustande?
Nobuko Yamaguchi: Die erste Idee kam Ende April in einem privaten Telefongespräch mit Hiroharu Okubo auf, der beim YNSO in Tokio in der Verwaltung arbeitet. Ich kenne das Orchester und die Musiker*innen persönlich seit Studienzeiten und weil ich dort ab und zu als Aushilfe spiele. Wir haben über die schwierige Situation für Musiker*innen gesprochen, die zu diesem Zeitpunkt auf der ganzen Welt für alle gleich war, ob in Europa oder Asien. Hiroharu hatte dann spontan die Idee, dass man vielleicht mit den Frankfurter Kolleg*innen etwas zusammen machen könnte. Ich habe sofort unserem Orchestervorstand geschrieben und so die Idee aus Tokio nach Frankfurt übermittelt. Hier hat man gleich ganz euphorisch reagiert.
Regine Schmitt: Zunächst war nur klar, dass eine Zusammenarbeit Corona-bedingt online erfolgen muss. Es kristallisierte sich dann heraus, dass wir ein die Kontinente verbindendes Signal geben wollten: Schaut her, es gibt uns noch! Musik ist eine universelle Sprache, sie verbindet uns, erst recht in einer Zeit, in der wir alle von der gleichen Gefahr bedroht sind.
Nobuko Yamaguchi: Ich habe schon als Kind angefangen, Musik zu machen, und es war sehr deprimierend, dass für uns Musiker*innen nun auf einmal so viel wegbrach, und zwar auf unbestimmte Zeit. Wir mussten zu Hause bleiben und konnten nicht für unser Publikum spielen. Die Botschaft, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, war uns wichtig.

Ihr habt das Vorspiel von Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« eingespielt. Warum gerade dieses Stück?
Matthias Höfer: Unsere japanischen Kolleg*innen wollten unbedingt etwas aus der deutschen Romantik spielen. Und natürlich musste berücksichtigt werden, was technisch überhaupt zu realisieren ist. Praktischerweise hatte Sebastian Weigle dieses Vorspiel in einem Konzert von YNSO bereits dirigiert und es gab somit eine Videoaufnahme.
Wie funktioniert das technisch, wenn Musiker*innen aus Japan und Deutschland von zu Hause aus zusammenspielen wollen?
Matthias Höfer: Wir haben eine Klickspur zu dem Konzertmitschnitt aus Japan erstellt. Auf der Basis der Interpretation in diesem Konzert haben wir dann bei der Aufnahme wieder auf diese Klickspur gespielt. Man hört in dem Video also tatsächlich die Einzelspieler*innen, die man auch sieht – es gibt kein Playback. Die Einzelaufnahmen sind später im Studio zusammengefügt worden.
Regine Schmitt: Damit man hunderte Aufnahmen zu einem Stück zusammen schneiden kann, müssen alle Musiker*innen exakt auf der gleichen Tonhöhe sein, dasselbe Tempo und dieselbe musikalische Interpretation spielen. Dass am Schluss ein Stück mit allen Stimmen, die in der Partitur stehen, rauskommt, ist ein technisch wirklich enorm hoher Aufwand, der sehr viel Geschick erfordert.
Matthias Höfer: Wer mal ein Instrument gelernt hat, weiß, wie das ist, wenn man mit einem Metronom übt – das Gerät gibt durch akustische Impulse ein konstantes Tempo vor, an dem man sich orientieren kann (schnippt). Bei uns kam natürlich dazu, dass dieser Klick nicht rein metronomisch, sondern eine genaue Abbildung des Konzerts mit Weigle in Tokio war.
Regine Schmitt: Die Klickspur ist sozusagen der akustische Reiz, der das Tempo vorgibt und auch die Musikbewegung des Dirigenten abbildet.
Matthias Höfer: Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Streicher*innen als große Gruppe spielen und die Bläser*innen von beiden Orchestern die Solos abwechselnd spielen. Das heißt, es gibt eine erste Flöte aus Tokio und eine erste Flöte aus Frankfurt und so weiter.
Regine Schmitt: Natürlich war neben der Klickspur auch Notenmaterial erforderlich. Vor allem identische Striche für die Streicher*innen, damit hier kein Chaos entsteht. Wir haben uns dann darauf geeinigt, die Noten vom YNSO zu übernehmen.
Nobuko Yamaguchi: Mir hat es bei der Vorbereitung auch sehr geholfen, das Video von dem Konzert, auf dem die Aufnahme basiert, anzuschauen. Ich war in ständigem Austausch mit den japanischen Kolleg*innen und habe zwischen den beiden Orchestern vermittelt, teilweise auch übersetzt, obwohl wir hauptsächlich auf Englisch miteinander kommuniziert haben.
In eurem Video sieht man Sebastian Weigle dirigieren. Welche Rolle spielte er bei der Aufnahme?
Matthias Höfer: Unsere Bitte an Sebastian Weigle war, dass er das Stück mit einem Video einleitet, das zeigt, ich bin zu Hause, ich habe kein Orchester zu dirigieren, ich bin in meinem Arbeitszimmer, sitze an meinem Klavier, was wäre, wenn ich jetzt dirigieren könnte? Basierend auf diesem Gedanken spielt er dann ein Motiv und gibt den Einsatz, aus dem heraus das Stück wie eine Art Traumsequenz entsteht.
Wer hat den Zusammenschnitt all dieser Videoaufnahmen gemacht?
Nobuko Yamaguchi: Das hat das YNSO übernommen. Das Orchester wird vom Yomiuri Konzern betrieben, der eine der großen Tageszeitungen in Japan herausgibt und einen Fernsehkanal unterhält. Technik, das Equipment und entsprechend versiertes Personal ist also vorhanden. Den Namen Yomiuri kennt in Japan wirklich jeder.
In den Videos ist ja neben der Musik noch einiges zu sehen …
Regine Schmitt: Die Musiker*innen in Tokio sollten ein blaues Kleidungsstück oder Accessoire tragen und die Frankfurter was Rotes. Damit auf den ersten Blick ersichtlich ist: Hier spielt Frankfurt, dort Tokio.
Matthias Höfer: Außerdem wollten wir gern den Zeitunterschied abbilden, indem z.B. gezeigt wird, dass wir gerade beim Frühstück sitzen, beim Üben den Morgenkaffee trinken, während in Japan die Kinder schon aus der Schule zurückkommen.
Regine Schmitt: Zur Bebilderung des Zeitunterschieds reichte oft ein Requisit, z.B. eine Uhr oder eine Kaffeetasse.
Ihr habt über diese ganze Corona-Lockdown-Zeit verschiedene Videos gemacht. Könnt ihr uns ein bisschen davon erzählen?
Regine Schmitt: Ja, wir haben ein Video mit der Eintracht Frankfurt gemacht, im Herzen von Europa. Das sind wir etwas anders angegangen als das Yomiuri-Video. Wir wollten, dass sich die Musiker*innen in diesem Video gleichzeitig auch sportlich betätigen. Es ist natürlich schwierig, mit Klick im Ohr live Musik zu spielen und dabei beispielsweise auf einem Trampolin herumzuspringen. Alle haben sich dazu was einfallen lassen. Wir hatten bereits eine eigene Aufnahme von diesem Lied, inklusive Chor. Diese fertige Tonspur wurde benutzt und die Musiker*innen haben Playback darauf gespielt und so ihr Video aufgenommen. Schließlich sind auch noch die Fußballer der Eintracht Frankfurt mit ihrem Gesang reingeschnitten worden. Das war ebenfalls ein sehr erfolgreiches Video mit vielen Klicks, natürlich mit einer anderen Herangehensweise und einem anderen Zielpublikum. Die Zusammenarbeit mit YNSO hat künstlerisch auf einem anderen Niveau stattgefunden. Es sind unterschiedliche Produktionen – beide haben ihre Berechtigung.
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Was denkt ihr im Rückblick über das Projekt mit dem YNSO?
Nobuko Yamaguchi: Zum Schluss hatte ich eine Gänsehaut. Es hat tatsächlich geklappt, dachte ich, und wir haben schön musiziert. Mir macht es viel Spaß, das Video zu anzusehen. Ich kenne ja die einzelnen Gesichter. Mein Wunsch ist es, dass wir einmal zusammen auf der Bühne stehen und live miteinander spielen können.
Matthias Höfer: Ja, wir hoffen sehr, dass wir das YNSO eines Tages live und persönlich wiedersehen, zusammen spielen oder nach deren Tournee einfach mal zusammen grillen können.
Regine Schmitt: Ohne Nobukos Vermittlung hätte das Projekt nicht geklappt. Sie hat uns angeschoben. Ein positiver Effekt der Coronakrise ist, dass man plötzlich auf ganz neue Ideen und andere Lösungen kommt, um sich auf kreative Art zu verbinden.
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Von ihren Erfahrungen berichteten die Musiker*innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters Nobuko Yamaguchi, Regine Schmitt und Matthias Höfer im Interview mit Linda Herrmann. Bearbeitet von Juliane Lehmann und Selina Stefaniak.
11. November 2020