Alle hatten schon irgendwie damit gerechnet, aber als das Aufführungs- und Probenverbot am 13. März tatsächlich auch in Frankfurt am Main verbindlich wurde, war es doch ein überraschender und schockierender Moment, der uns allen noch lange in Erinnerung bleiben wird. Wie haben Chor und Orchester dies erlebt und wie geht es jetzt weiter? Andreas Finke, Orchesterdirektor des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, und Tilman Michael, Chordirektor der Oper Frankfurt, schildern aus dem Homeoffice, was die Situation für sie bedeutet.
Wie sehen Ihr Alltag und der Ihrer Kolleg*innen von Chor und Orchester aktuell aus?
Andreas Finke: Orchester bestehen immer aus Gruppen von mehreren Menschen, sodass uns quasi von einem Tag auf den anderen verboten wurde, weiterzuarbeiten wie bisher. Jede Musikerin und jeder Musiker wird das tun, was sie oder er immer tut, wenn keine Proben und Vorstellungen stattfinden: üben, üben, üben, denn zum Glück wird es eine Zeit nach Corona geben und dafür gilt es, fit zu bleiben. Ich persönlich muss einige Dinge gut und allgemeinverträglich abschließen, z.B. die Frage nach der Honorierung abgesagter Proben und Vorstellungen für die zahlreichen freischaffenden Gäste, und bemühe mich um regelmäßigen Kontakt zu den Orchestermusiker*innen, damit diese auf dem Laufenden bleiben.
Tilman Michael: Wir können zurzeit unmöglich alle gemeinsam im Chorsaal proben: Singen hat ja intensiv mit der Atmung zu tun, und für die deutliche Aussprache müssen wir die Konsonanten manchmal fast »spucken« – also viel zu große Ansteckungsgefahr! Wir sind gerade dabei, uns auf die Situation einzustellen und alternative Probenformate zu entwickeln …
Haben jetzt alle Zwangspause oder geht die Arbeit weiter? Welche neuen Herausforderungen ergeben sich dadurch?
Andreas Finke: Die Arbeit im Kollektiv ruht, und so lange wir nicht wissen, wann es weitergehen wird, bleibt unklar, mit welchen Werken wir weitermachen können. Wir können weder dort einsteigen, wo wir aufgehört haben, noch können wir eines Tages so tun, als hätte es die Pause nicht gegeben. Denn Oper hat einen langen Vorlauf und da viele Gewerke jetzt nicht vorbereiten können, werden Neuproduktionen nicht termingerecht fertig gestellt werden können. Aber wir bemühen uns, mit Aktionen wie »Bei Anruf Musik« in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben.
Tilman Michael: Es startet für den Chor gerade ein völlig neues Projekt: für unsere erste Premiere der neuen Spielzeit haben die Chorist*innen nun ihre Noten zu Hause. Ich habe für jede Stimmgruppe individuelle Audio-Tutorials aufgenommen und per Mail verschickt. Es ist ein recht kompliziertes Werk, also spreche ich den Text und die Rhythmen vor und spiele die Tonfolgen für jede einzelne Stimme am Klavier vor. Nun können die Chorist*innen ihre Partie zu Hause erarbeiten! Wir können also von »home singing« oder »private rehearsing« sprechen.
Wie war dieser Moment, als Sie erfahren haben, dass die Proben ab sofort nicht mehr möglich sind?
Andreas Finke: Ich bin am Donnerstag, dem 12. März während einer laufenden Konzertprobe vor das Orchester getreten und musste allen mitteilen, dass die Konzerte abgesagt sind. Die Stimmung, in der dann alle auseinander gegangen sind, war natürlich sehr bedrückt, obwohl wir zu der Zeit noch glaubten, für Opern weiterproben zu können, deren Aufführungen am Wochenende geplant waren. Das hatte sich dann am selben Abend ebenfalls erübrigt.
Tilman Michael: Wir waren nicht das erste Opernhaus, das den Betrieb abgebrochen hat, also haben wir damit schon gerechnet. Die Nachricht kam dann, als alle im Kostüm bereit zum Beginn der Generalprobe für La Damoiselle Élue / Jeanne d’Arc au bûcher waren. Insofern war es schon ein unangenehmes Gefühl – Stillstand »von 100 auf 0«!
Wie bleiben Sie und die Chor- und Orchester-Kolleg*innen jetzt in Kontakt?
Andreas Finke: Ich leite alle relevanten Informationen per Mail weiter, bei 115 Festangestellten und diversen Gästen ist das die einzige Möglichkeit, alle zu erreichen. Ich bin aber überrascht, dass es wenige Rückmeldungen gibt, obwohl doch viele Fragen offen bleiben. Offensichtlich haben alle sehr gut verstanden, dass wir einfach auch nicht mehr wissen und nicht weiterplanen können. Einige kümmern sich um die jährliche Generalüberholung ihrer Instrumente. Es wäre fatal, wenn diese wichtigen Zulieferer nächstes Jahr nicht mehr verfügbar wären, um mit ihrem Fachwissen und ihren Fähigkeiten die notwendige Unterstützung zu gewähren. Die Branche ist sehr klein und schnell verwundbar.
Tilman Michael: Ich informiere meinen Chor per E-Mail jeweils über neue Entscheidungen bzw. veränderte Sachlagen. Wir sehen uns normalerweise über die gesamte Spielzeit quasi jeden Tag zweimal, vormittags und abends, also im Grunde permanent. Der eine oder andere ist vielleicht froh, den »Chef« nicht so oft zu sehen, aber viele schreiben mir, wie sehr sie sich freuen, von mir und von Neuigkeiten aus der Oper zu hören.
Gibt es etwas Positives, das Sie aus dieser schweren Zeit mitnehmen können?
Andreas Finke: Das Glück und die Dankbarkeit, einen öffentlichen Arbeitgeber zu haben, der unser Überleben sichert und in Aussicht stellt, uns auch in Zukunft zu beschäftigen, ist schon sehr viel wert. Ich persönlich freue mich über das schöne Wetter, dem ich sonst immer nur neidisch aus dem Bürofenster hinterherschaue.
Tilman Michael: Eine Spielzeit an einem Haus wie der Oper Frankfurt – das ist normalerweise eine Phase durchgängig hoher Intensität, ein großartiges Werk löst das andere ab. Da bedeutet diese ungewöhnliche Phase auch: durchatmen und reflektieren, mit Abstand auf die Dinge blicken und Zeit, sich weiterzuentwickeln!
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Dies ist Teil 2 der Interview-Reihe zur Corona-Krise von Linda Herrmann. In der nächsten Folge hören wir von unseren Sänger*innen des Ensembles, wo sie die Quarantäne verbringen und wie sie ihre Stimme fit halten. Hier geht es zu Teil 1 der Serie, einem Interview mit Intendant Bernd Loebe.
08. April 2020